Schwaben-Messe
unübersehbar in Eigentumswohnungen umstrukturierter Komplex, links ein ähnlich verdammt teures Anwesen. Hinter den Häusern erstreckten sich die Baumreihen des Schlossparks, der eines der größten und wohl auch sehenswertesten Barockschlösser Deutschlands umgab. Braig hatte den gesamten Komplex, der sich direkt vom Zentrum der Stadt in gerader Linie etwa vier Kilometer weit erstreckte, mehrfach besichtigt, immer aufs Neue überwältigt von der Monströsität des Anwesens. Weiträumige Gärten mit ständig wechselnden bunten Blumenteppichen, mächtigen Wasserfontänen, verspielten Stein- und Vegetationsskulpturen sowie den Bauten des Residenzschlosses, des Favoriteschlösschens und des Monrepos-Schlosses, zeigten ein originalgetreu erhaltenes Abbild pompöser Barockarchitektur, deren erster Grundstein 1704 gelegt worden war. Die Innenräume vor allem des Residenzschlosses offenbarten etwa im Ahnensaal mit der Abbildung der frühen Herrscher des Landes einen Prunk und Protz, der mit der übrigen schwäbischen Geschichte und Kultur nur schwer zu vereinbaren war.
Herzog Eberhard Ludwig hatte den sonst so nüchtern-introvertierten, evangelischen Schwaben mit der Gründung der Stadt und des Schlosses und den dort inszenierten Festivitäten seit Beginn des 18. Jahrhunderts ein Flair barocker Weltläufigkeit vermittelt, der jedoch keine hundert Jahre später mit dem Umzug der Residenz ins benachbarte Stuttgart wieder schwäbisch-evangelisch-bescheidenerer Lebensart Platz machen sollte. Heute zogen die gepflegten Schlossanlagen mit ständig wechselnden Blütenmeeren und immer neuen musealen Darbietungen Jahr für Jahr Scharen von Besuchern an.
Beck und Braig folgten dem mit massigen Betonpfeilern befestigten Zaun, liefen zur breiten Pforte, die mit dicken Eisenstäben versehen war. Sie hatten das Tor fast erreicht, als grelles Licht aufflammte. Gleißende Scheinwerfer strahlten sie von mehreren Seiten an. Der Eingang schien geschützt wie die Pforte eines Gefängnisses.
Braig läutete an der Glocke, wartete auf eine Reaktion. Es dauerte mehr als eine Minute, bis der Lautsprecher krächzte und eine tiefe Stimme nach ihrem Wunsch fragte. Braig stellte sich vor, starrte abwechselnd in eine der vier Videokameras.
Der Mann ließ sich Zeit. Sie standen mehrere Minuten, bis sich die Pforte endlich öffnete und, von einem Motor betrieben, zur Seite geschoben wurde. Es reichte gerade einzutreten, als sie bereits wieder hinter ihnen einrastete. Hägele schien irrsinnige Angst vor Einbrechern zu haben.
Sie folgten dem mit Fliesen ausgelegten Weg durch üppige Blumenrabatten, standen vor einer breiten Treppe, die wenige Stufen in die Höhe führte. Was sich dahinter verbarg, war, geblendet vom grellen Licht, nicht zu erkennen.
Ewald Hägele öffnete die schwere Holztür in dem Moment, als sie die oberste Stufe erklommen hatten. Er war mittelgroß, zwischen vierzig und fünfzig, hatte einen grau-weißen Haarkranz rings um eine nach vorne offene Glatze, trug eine breitrandige Brille mit dicken Gläsern. Seine Füße steckten in Hausschuhen, zur hellbraunen Lederjacke trug er neue, kräftig blaue Jeans.
Er begrüßte sie, drückte ihnen kräftig die Hände. »Bitte, meine Herren«, wies er sie an, führte sie durch einen breiten, mit dunklem Parkett ausgelegten Vorraum in ein kleines Zimmer. Ein massives Ledersofa, ein schmaler Tisch und zwei Sessel, dazu eine schlanke Eckvitrine, mehr gab es nicht. Kein Bild an einer Wand, keine Blumen, nichts. Hägele blieb geschäftsmäßig kühl, plante offensichtlich nicht, ihnen auch nur einen noch so kleinen Einblick in sein Privatleben zu gewähren. Er bot ihnen nichts an, bat sie nur, auf dem Sofa Platz zu nehmen, setzte sich ihnen gegenüber. Ob noch andere Personen im Haus anwesend waren, ließ sich nicht feststellen.
»Was ist der Anlass Ihres Erscheinens?«
Er sprach nicht von Besuchern, offenbarte mit der Wortwahl und dem Tonfall seiner Sprache, wie wenig erwünscht sie waren.
»Sie haben wahrscheinlich viel zu tun«, eröffnete Braig vorsichtig das Gespräch, wurde sogleich von Hägele unterbrochen.
»In der Tat. Mein Beruf erfordert Arbeit und Konzentration bis weit in die Nacht. Auch in diesem Haus.«
Braig signalisierte Verständnis, indem er mit dem Kopf nickte. »Wir wollen Sie auch nicht lange aufhalten, Herr Hägele. Sie wissen, wir ermitteln in den Mordfällen Altmeier, Grandel und Jahn. Wir haben Hinweise, dass Ihnen Herr Jahn nicht unbekannt ist. Unser Besuch dient
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