Schwaben-Rache
spitzbübisch, wusste er doch, wie neugierig sie war, das Wort endlich zu erfahren.
»Jetzt spannen Sie mich nicht so auf die Folter.«
Braig drückte seine Lippen eng aufeinander, formulierte Buchstabe für Buchstabe. »Daube Funzel.«
»Oh je, schwäbisch!«
»Keine Ahnung?«
»Ich tippe auf einen Kerl, der nichts taugt. Woher haben Sie den Ausdruck?«
»Herr Göckele benutzte ihn.«
»Mein Gott, der!« Elisabeth Ungemach schlug die Hände laut zusammen. Sie schleppte einen dicken Aktenordner herbei, klemmte ihm das schwere Gerät auf den Schoß und blätterte darin herum. »Tragen Sie die Worte ein, bitte.«
Braig fand das Kapitel mit schwäbischen Ausdrücken, erreichte das »F«.
Das Sammeln von Schimpfworten war ihre zweite große Passion. Bedingung dabei: Die Ausdrücke mussten gegen Vertreter des männlichen Geschlechts gerichtet sein und durften nicht dazu beitragen, Frauen in irgendeiner Weise zu diskriminieren. Seit Jahren rannte sie hinter jeder Bezeichnung her, die nur entfernt mit Flüchen, bösen Formulierungen, hinterhältigen oder doppeldeutigen Erklärungen zu tun hatte. Ihr großer Wunsch war es, die Sammlung in Buchform zu veröffentlichen, wenn sie einmal komplett war. Nur, würde das je der Fall sein?
Braig hatte seine Worte eingetragen und überflog interessiert die Seite mit dem »F«.
»
›Fetzaberger‹
«, las er laut, »
›ein schlagfertiger kleiner Gauner, der allen Situationen gewachsen ist. Filou, ein fast anerkennendes Wort für einen listigen Kerl, stammt aus dem Französischen. Furzklemmer, ein sehr geiziger Mensch, der keinen Furz auf einmal lässt, sondern aus einem zwei macht.‹
«
Braig lachte laut. »Wäre das nicht eine schöne Bezeichnung für unseren lieben Nachbarn?«
»Den Göckele? Sofort!«
»Er war wieder voll in seinem Element, als ich die Treppe hochlief. Die Gesetze müssten verschärft und das ausländische Pack gefoltert werden. Fehlt nur noch, dass er nach dem Adolf schreit. Ein echter Schwabe, wie?«
Elisabeth Ungemach sah ihn mit großen Augen an, schüttelte ihren Kopf. »Nein. Sie können den Schwaben vieles vorwerfen, nur nicht übergroße Begeisterung für die Nazis. Wenn Göckele diesen Schwachsinn von sich gibt, spricht das für seinen beschränkten Verstand. Er steht aber auf keinen Fall repräsentativ für die Mehrheit seiner Landsleute. Die Schwaben mögen viele Fehler haben, aber überzeugte Nazis fanden sich hier noch nie besonders viele – weder damals noch heute. Zum Glück. Obrigkeitsgläubigkeit und liebedienerisches Buckeln vor den Mächtigen hat in diesem Land keine Tradition.«
»Höre ich da die Lobpreisungen einer überzeugten Schwäbin?«
Elisabeth Ungemach schüttelte energisch den Kopf. »Die für die entscheidenden Jahrzehnte ihres Lebens ins Exil vertriebene Schwäbin, bitte. Nein, meine Landsleute waren zu allen Zeiten unbequeme Befehlsempfänger, ein Wort wie Gehorsam existiert im Schwäbischen nicht. Wann immer die Mächtigen ihren Willen durchzusetzen suchten, stießen sie auf Widerstand. Oder können Sie sich die skurrile Ansammlung verschrobener Tüftler, brummiger Eigenbrötler und ungehobelter grober Klötze in diesem Ländle als obrigkeitsergebene Diplomaten und Speichellecker vorstellen?«
Braig lachte, fasste seine Antwort in bayerischen Slang. »Die finden sich eher in benachbarten Regionen, net woa?«
»Genau. Dieses Volk von Individualisten, Sektierern und komischen Käuzen überließ es anderen, kriecherisches Buckeln vor den Mächtigen einzuüben. Das spürten auch die Herren des Tausendjährigen Reiches. Hitler erhielt im Schwäbischen relativ wenig Zuspruch, besonders die Bauern und die engagierten Christen waren nicht bereit, sich dem arischen Wahn voll auszuliefern. Natürlich fanden sich auch hier viele plumpe Mitläufer, aber zu den führenden Bonzen gehörte nicht ein einziger Schwabe. Und die mutigen Beispiele von Zivilcourage gegen die Machenschaften der braunen Bande sind zahlreich. Etwa die öffentlichen Predigten des Landesbischofs Wurm, der sich jahrelang gegen die Ermordung psychisch Kranker stemmte und damit die Beendigung des sogenannten Euthanasie-Programms in Württemberg erreichte.«
Elisabeth Ungemach fuhr sich mit der Hand über die Stirn, holte tief Luft.
»Genauso die evangelischen Pfarrer in und um Stuttgart wie Kurt Müller, Albrecht Goes oder Rudi Daur, die über Jahre hinweg unter Einsatz ihres Lebens und dem ihrer Familien untergetauchte Juden in ihren Häusern
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