Schwaben-Rache
Luft.
Als Braig das Gewirr der Dächer betrachtete, blieb sein Blick an der Autoschlange haften, die sich auf der Bundesstraße am Dorf vorbeiwand. Der Autolärm, je nach Stärke des Windes an- und abklingend, begleitete ihn bis hier oben. Er hatte Kriminalmeister Stöhr mit dem Auftrag weggeschickt, im Dorf genaue Erkundigungen über Kessel, Ziegenfuß, Schmidt und den erst vor wenigen Wochen von Schmidt entlassenen Kahn einzuholen.
Motive, überlegte er, gab es genug. Je eifriger er nachforschte, desto mehr Verdächtige tauchten auf. Waren wirklich, wie Gübler und der Autoclubfunktionär Breuninger behauptet hatten, grüne Terroristen am Werk? Oder handelte es sich um eine private Abrechnung, wobei die Bekennerschreiben nur auf falsche Spuren führen sollten? Etwa um ein gemeinsames Komplott von Kahn, der sich an Schmidt für seine Entlassung, und von Ziegenfuß, der sich an Kessel für den Unfall rächen wollte?
Das Fahndungsfoto hatte bisher nicht viel geholfen. Kessel hatte erklärt, den Mann nie gesehen zu haben. Schmidt, den er noch im Weggehen damit konfrontiert hatte, war sich nicht ganz sicher gewesen, und die nur zufällig ins Spiel gekommene Frau Brüderle war in dem Zusammenhang auch keine Hilfe.
Offenkundig war nur die Ortskenntnis der Entführer der letzten Nacht: Wie sonst hätten sie beide Opfer auf dem Schleichpfad zu ihrer Folterstätte führen können? Wer immer hinter den Verbrechen steckte, musste mit Lauberg zu tun haben. Hier im Dorf lag, dessen war er sich sicher, ein wichtiger Schlüssel zu diesem Fall.
Das laute Röhren eines Motorrades unten auf der Bundesstraße riss Braig aus seinen Überlegungen. Er sah, wie das rasende Gefährt eine Kolonne von Lastwagen überholte und dann kurz vor einem schnell entgegenkommenden PKW wieder einscherte. Sein Blick folgte der Straße, bis diese hinter dem Hügel verschwand. Das Gehöft des Mannes, der ihm als Ziegenfuß vorgestellt worden war, erstreckte sich dort am Rand des Dorfes. Er musste den Mann aufsuchen, um ihn wegen des Unfalls und seines Verhältnisses zu Kessel zu befragen.
Braig verließ die Bank und folgte einem schmalen Weg am Rande des Dorfes entlang. Wenige Meter vor der Kirche sah er den Friedhof zu seinen Füßen liegen. Von hier oben hatte man den Tatort direkt vor Augen. Wenn es jemanden gab, der zufällig etwas von dem Geschehen mitbekommen haben konnte, dann der Pfarrer und seine Familie.
Er beschloss, den Mann zu fragen, und läutete an der Eingangstür des Pfarrhauses, einem schmucken kleinen Fachwerkhaus. Blumen in vielen Farben säumten die Fensterbänke, große Teile des Gartens und der Treppe. Das ganze Haus war von wild wuchernder Vegetation umgeben. Auf einer der Stufen, die zur Tür führten, aalte sich eine junge rötliche Katze.
Braig beugte sich zu dem Tier hinunter, streichelte es und lachte, als es kräftig zu schnurren begann.
»Sie mag Sie«, ertönte eine Stimme hinter ihm.
Überrascht drehte er sich zu einer jungen Frau um. Sie war nicht allzu groß, bestimmt einen Kopf kleiner als er, hatte dunkelbraune, leicht rötlich getönte glatte Haare, die ihr knapp über die Schulter reichten. Ihr Kleid aus hellem, in zartem Blau gepunkteten Stoff, mit kurzen Ärmeln und weitem Schnitt passte wie angegossen.
Sie lächelte ihm zu. »Maximiliane lässt sich nicht von vielen streicheln.«
»Maximiliane?«, fragte Braig mit holpriger, belegter Stimme.
»Diese Dame hier.« Die junge Frau zeigte auf die Katze.
In seiner Überraschung lachte er ein wenig krampfhaft, wobei er sich langsam aufrichtete.
Sie nahm das Tier, drückte es an sich. »Sie haben bei ihr einen Stein im Brett.«
Langsam taute Braig auf. »Das freut mich sehr.«
Die Frau setzte die Katze wieder ab und stieg dann die Stufen der Treppe hoch. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie.
Braig kratzte sich verlegen unter seinem linken Ohr. »Ich hätte gern den Pfarrer gesprochen. Sie sind die Tochter?«
Die Katze richtete sich auf, strich ihm ums Bein, drückte ihren Kopf an seine Wade. Ihr Schnurren erreichte höchste Tonlagen.
»Den Pfarrer?«, fragte die Frau.
Ihr Lachen irritierte ihn noch mehr. »Wenn es möglich wäre.«
»Ich werde ihn holen.«
Sie öffnete die Tür, die offensichtlich nicht verschlossen war, lud ihn mit einer Handbewegung ein, ihr zu folgen, und führte ihn in ein kleines Erkerzimmer, das von einer runden Eckbank und einem stabilen Kiefernholztisch dominiert wurde. Vor dem Tisch lag ein weißer Flokati-Teppich, der
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