Schwaben-Rache
Mund.
»Gerne, wenn es so großen Erfolg bringt.«
»Was hat er erzählt?«
»Hm, der Herr Kriminalkommissar zeigt Interesse«, hatte Neundorf in den Hörer gefrotzelt.
»Mach's nicht so spannend.«
»Zuerst mal wunderte er sich darüber, dass mein Vater, äh, Breuninger, eine Tochter habe, von der er ihm noch nichts erzählt hatte. Wo er sonst so viel über unsere Familie wisse, na ja, er verstehe schon, seit das damals geschehen sei und sie wie enge Vertraute zueinanderhielten. Du kannst dir denken, dass ich in dem Moment noch neugieriger wurde.«
Braig hatte den Kopf geschüttelt. »Ich kann's nicht fassen! Oh Leute, wenn Gübler das erfährt!«
»Internat, erklärte ich ihm, fünf Jahre lang. Bessere Ausbildung für optimale Berufschancen und so. Er verstand sofort. Außerdem hätte ich in jenen Jahren – wie Pubertierende eben so sind – mit meinem Vater kein besonderes Verhältnis gehabt, vielleicht habe der mich deshalb lieber verschwiegen. Das verstand er noch besser.«
Braig hatte den Telefonhörer angestarrt.
»Aber es sei völlig klar, dass wir uns keine Sorgen machen sollten, was seine Verschwiegenheit anbelange«, war Neundorf fortgefahren, »mein Vater habe den Unfall nicht gewollt, natürlich nicht, und dass das Kind in dem Moment auftauchen musste, wer konnte das ahnen. Was hätten Kinder um diese Zeit, es war immerhin kurz nach zehn, überhaupt draußen verloren. Und dass mein Vater ausgerechnet an diesem Tag so viel ... Überhaupt: Es sei schon viel besser geworden, mit seinem Alkoholkonsum. Meist nehme er ein Taxi, wenn er zu viel, na ja, ich wisse schon. Er hat über beide Backen gegrinst, als er mir das erzählte. Die Verhandlungen seien eben oft ganz schön brutal, er bekomme das mit, obwohl es ihn nichts angehe. Aber die Herren schenkten sich wirklich nichts, und immerhin handele es sich ja um Regierungsleute aus Stuttgart und Berlin, manchmal seien ja sogar der Herr Wirtschaftsminister und auch der Verkehrsminister dabei, und na ja, wenn man da über den Durst trinke ... Also, lange Rede, kurzer Sinn: Das Kind war selbst schuld, oder vielmehr die Eltern, die es so spät noch draußen auf dem Gehweg ... Aber diese Sorte Eltern kenne man ja, asoziale, unverantwortliche Bagage. Nur keine Angst, er würde doch nicht einen seiner treuesten Kunden ... Was denn der Anlass sei? Ja, erklärte ich, die Polizei fange eben wieder damit an, dass die Frage nach dem Verursacher des Unfalls immer noch nicht geklärt sei. Er beruhigte mich, tätschelte mir die Schulter, den Arm und beinahe noch mehr, wenn ich nicht leicht zur Seite gerutscht wäre. Aber was tue ich nicht alles, um deine Fälle lösen zu helfen ... Natürlich werde ich da weiter nachbohren und die Akten noch mal ordentlich studieren«, hatte Neundorf zum Schluss noch erklärt, »der Bonze soll nicht ungeschoren davonkommen, wenn er das Kind wirklich auf dem Gewissen hat.«
»Warte nur ab, ob Gübler nicht abblockt.«
»Der wird vorerst nichts erfahren.«
Braig musste sich nach dem langen Telefongespräch beeilen, die S-Bahn zu erreichen.
Am Bahnhof in Lauberg wartete derselbe Beamte, der ihm am Tag zuvor das Dorf und die beiden Tatorte gezeigt hatte.
»Tut mir leid, dass wir uns so schnell wiedertreffen«, begrüßte ihn Polizeiobermeister Busch, »aber das konnte wohl kein Mensch ahnen, dass es sofort weitergeht.«
Das ›Wohnland‹ war ein großes Möbelzentrum, das etwa fünfhundert Meter südlich von Lauberg im Nachbarort Waldrems direkt an der Bundesstraße lag. Es hatte mehrere Stockwerke und große Schaufensterfronten, die auf die stark befahrene Straße ausgerichtet waren. Der vierstöckige Neubau im Süden der Anlage sollte den Komplex erweitern, um die Verkaufsfläche zu vergrößern. Noch war ein Großteil der Arbeiten zu erledigen, bis auf den Rohbau hatten die Handwerker noch nicht viel geleistet.
»Sie banden den Mann an einen Pfeiler im obersten Stockwerk direkt über der Straße. Irgendwann gestern Abend oder heute Nacht«, erklärte Busch.
»Nur festgebunden, sonst nichts?«
»Ohne Kleidung.«
»Wie bitte?«
»Nackt. Nur mit Strümpfen«, sagte Busch.
»Sie stellten ihn nackt ...«, wiederholte Braig fragend.
»Er wurde gezwungen sich auszuziehen, ja. Komplett, bis auf die Strümpfe.«
»Und er hat die ganze Nacht so verbracht?«
»Wie gestern. Nur diesmal nicht am Straßenrand, sondern im vierten Stock. Dort hört man den Lärm noch besser.«
»Gibt es ein Bekennerschreiben?«, fragte
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