Schwaben-Rache
Bofinger beobachtete gedankenverloren den Springbrunnen. »So sehr mein Mann und ich uns auseinandergelebt haben – ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich auf so etwas einlässt. Er arbeitet seit Jahren wie ein Tier, er hat Geld in Hülle und Fülle – warum sollte er sich die Hände schmutzig machen mit irgendwelchen Machenschaften?«
»Sind Sie sich dessen so sicher?«, fragte Braig, von Gübler mit kritischen Blicken verfolgt.
»Ich bin seit fast fünfundzwanzig Jahren mit dem Mann verheiratet, von dem Sie reden. Ich kenne ihn von Jugend auf. Er hatte nur ein Thema in seinem Leben, ein einziges Thema: den anderen zeigen, wer er ist. Dass er es zu etwas bringt, auch ohne Bildung, ohne Schule, ohne reiches Elternhaus. Er mit seinem Hilfsschulabschluss, der kleine, unscheinbare Junge. Alle anderen waren besser dran, aber Sie sehen, er hat es zu etwas gebracht. Der kleine Konrad Bofinger.« Aus ihrer Stimme sprach bitterer Stolz. »Sein Vater ist ihm zeitlebens unbekannt geblieben. Und seine Mutter, na ja, sie starb, als er ein kleiner Junge war. Das prägt, verstehen Sie? Und wenn Sie dann als Kind auch noch ständig ausgelacht werden ...«
Renate Bofinger wurde von Braig jäh unterbrochen. »Ausgelacht? Warum?« Er dachte an Schmidt, dem es wegen seiner seltsamen Kopfform sicher ähnlich ergangen war.
»Seine Mutter wurde verachtet, ausgestoßen. Wie das mit Huren eben so läuft.« Sie erhob sich, ging zu einer Vitrine. »Damals, kurz nach dem Krieg, jedenfalls war es so. Heute sind Frauen mit dieser Profession ja direkt salonfähig, nicht?«
Renate Bofinger öffnete den Schrank, bückte sich, kehrte mit einer Flasche und vier Gläsern auf einem kleinen Tablett zurück.
»Im Kinderheim wussten seltsamerweise alle davon. Er wurde ständig gehänselt und aufgezogen.«
Sie schenkte vier Gläser voll und gab jedem eines. Braig, der das Etikett gesehen hatte, wusste, dass es sich um einen teuren französischen Cognac handelte.
»Völlig unverantwortlich, aber alle kannten die Tätigkeit seiner Mutter.«
Sie nahm ihr Glas, prostete ihnen zu. Während Braig und Stöhr nur nippten, trank Gübler das Glas in einem Zug leer.
»Und wie sie ermordet wurde«, setzte Frau Bofinger fort.
»Ermordet?«
»Erdrosselt, mit einem Strick an ihrer Gardinenstange aufgehängt, sodass man sie von der Straße aus sehen konnte. Zur Abschreckung, als Strafe für ihren verwerflichen Beruf.«
Braig nippte an seinem Glas, spürte, wie ihm im Inneren heiß wurde.
»Als der Junge nach Hause kam, hing sie am Fenster. Er wollte es besser machen, verstehen Sie?« Renate Bofinger schenkte sich wieder ein, nahm das Glas, trank. »Konrad hatte, seit ich ihn kenne, nur ein Thema«, wiederholte sie, »er wollte der Welt, der ganzen Welt zeigen, wer er ist und was er kann. Trotz dieser Mutter, des Vaters, seiner ganzen verkorksten Kindheit. Alles, was Sie hier sehen, geht darauf zurück. Er arbeitet wie ein Tier. Tag und Nacht. Die ganze Woche. Er macht nicht mal samstags oder sonntags eine Pause.«
So ganz konnte das nicht stimmen, überlegte Braig, immerhin hatte der werte Herr Gemahl Zeit gefunden, mit Kessels Frau anzubändeln und dieses Verhältnis zwei Jahre durchzuhalten, sofern Frau Gübler ihm die Wahrheit gesagt hatte, woran er trotz ihres Namens nicht zweifelte. Ob Frau Bofinger davon wusste?
Er betrachtete ihr verhärmtes, sorgenvolles Gesicht und war sich ihrer Kenntnis sicher. Wahrscheinlich war das nicht die einzige Affäre, die der tatkräftige Mann realisiert hatte. Vielleicht wollte er sich seinen Erfolg nicht nur im Beruf, sondern auch beim anderen Geschlecht beweisen. Was seine Frau anging: Sie hatte sich wohl im Verlauf der Jahre mit diesem Lebensstil arrangiert und beschlossen, das Beste daraus zu machen. Obwohl es ihr psychisch ganz und gar nicht bekam, wenn man ihren Gesichtsausdruck als Maßstab nahm.
»Seit zwei Wochen aber, ja, so ungefähr, geht es ihm schlecht«, fügte sie hinzu.
Braig war so in Gedanken versunken, dass er erst langsam begriff, was das unter Umständen bedeuten konnte.
»Seit zwei Wochen? Was wollen Sie damit sagen?«, fragte er interessiert.
Renate Bofinger stellte ihr Glas auf den kleinen Tisch, musterte die Flasche. »Sehr schlecht sogar. Irgendetwas ist nicht in Ordnung. Ich weiß nicht, was dahintersteckt, aber, obwohl wir uns so weit auseinandergelebt haben«, ihre Stimme stockte, »ich spüre es, verstehen Sie, er ist nicht mehr der Alte.« Sie stierte unverwandt auf das
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