Schwaben-Rache
wohlüberlegtes taktisches Konzept, das die Entlarvung und Verhaftung des Unternehmers Otto Schmidt überhaupt erst ermöglicht habe.
31. Kapitel
Am Abend dieses für die beiden erfolgreichen Tages folgten Braig und Neundorf der Einladung von Frau Gübler. Es war kurz vor neun, als sie im Pfarrhaus – Frau Gübler hatte diesen Ort als Treffpunkt vorgeschlagen – eintrafen. Sie wurden von zwei strahlenden Frauen empfangen.
»Herzlich willkommen«, empfing sie Frau Gübler, »ganz Lauberg spricht davon: der Herr Unternehmer verhaftet – ein Schlag gegen Anstand und Moral! Endlich haben Sie mal den Richtigen erwischt.«
»Das freut Sie, wie?«, stellte Braig fest.
»Sagen wir so: Schmidt hat es verdient. Nicht nur wegen dieses Verbrechens mit dem Fleisch.«
»Wenn sich jemals herausstellt, dass der Erreger, der die Rinder befällt, auch das menschliche Gehirn schädigt, ist Schmidt schuld an der Krankheit und dem frühen Tod von unzähligen Menschen«, meinte Neundorf, »wir wissen nicht, seit wann die Transporte schon laufen.«
»Hat er viel damit verdient?«
»Die Schätzungen der Staatsanwaltschaft liegen im Millionenbereich, vorausgesetzt, der Schmuggel existiert schon länger. Die bekommen das Fleisch in England fast geschenkt, weil sie dort riesige Überschüsse haben. Wer will es schon noch? Und hier bei uns: Die Dosen wurden neutral deklariert, mit bundesdeutscher Herkunft versehen. Die Lagerhalle hat einen direkten Zugang zu einem Fleischmarkt, der in der Parallelstraße liegt. Dessen Besitzer wurde ebenfalls in Untersuchungshaft genommen.«
»Dann haben Sie Ihren Chef endlich zufriedenstellen können«, vermutete Frau Gübler.
»Teilweise«, meinte Braig, »der brennt darauf, die Entführer präsentiert zu bekommen. Die oberen Etagen haben kein anderes Thema mehr.«
»Sie glauben immer noch, hier in Lauberg suchen zu müssen?«
Steffen Braig zuckte mit den Schultern. »Ziegenfuß hat kein Alibi für die betreffenden Tatabende. Aber wer war sein Komplize?«
»Sie denken, er war an den Entführungen beteiligt?«
»Wir wissen es nicht. Er ist noch nicht vernehmungsfähig. Bisher hat er alles abgestritten.«
»Woher nehmen Sie eigentlich die Gewissheit, dass hinter allen Entführungen dieselben Leute stecken?«, fragte Frau Gübler. »Vielleicht jagen Sie einem Phantom nach.«
»Bis auf die erste Entführung in Stuttgart handelt es sich um dieselben Täter. Papier, Schriftbild, Schnüre: Alles stimmt überein. Außerdem kündigen die Täter jetzt sogar die Fortsetzung ihrer Aktionen an. Nur dieser Autoclub-Manager Breuninger, der im Wagenburgtunnel festgehalten wurde, der passt nicht.«
»Wieso?«
»Das Schreiben, das wir dort fanden, klingt völlig anders. Auch das Material stammt aus anderen Quellen.«
Vera Sommer erhob sich und verschwand für einen kurzen Augenblick, um dann mit einem großen Blech duftender Pizza zurückzukehren. »Ausnahmsweise von uns selbst gebacken, nicht aus der Gemeinde.«
In diesem Moment erst spürten Neundorf und Braig, wie groß ihr Hunger war.
»Sie erwähnten zwei Kurse Philosophie vor dem Abitur«, erinnerte Frau Gübler an ihr Gespräch vom Vortag, »und dann dieser Beruf?«
Steffen Braig lachte, nahm sich ein Stück Pizza, ließ sich von Vera Sommer ein Glas Mineralwasser einschenken. »Totaler Abstieg, direkt in die Gosse, wie?«, frotzelte er.
»Vom Saulus zum Paulus«, spottete Maria Gübler, »was war Ihr Bekehrungserlebnis?«
Braig genoss den kräftigen Geschmack des gut gewürzten Backwerks, wobei er die beiden Gastgeberinnen betrachtete. Frau Sommer in blauen Jeans und dezent grauem Sweatshirt, Frau Gübler in dunklen Hosen und einem weiten Schlabberhemd.
»Meine Mutter«, antwortete er, »oder besser: ihre ständigen Erniedrigungen, die ich jahrelang ertragen musste. Als Kind litt ich unter ihrer Abwesenheit, weil ich sie nur wenige Minuten am Tag zu Gesicht bekam. Ich begriff nicht, dass sie von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle hastete, um das nötige Geld für meine Schwester und mich zu verdienen. Später dann, als Heranwachsender, musste ich ohnmächtig mit ansehen, wie sie ausgebeutet und wie der letzte Dreck behandelt wurde.«
»Hat sie Sie alleine erzogen?«
Braig nickte. »Ich war noch ein Kind, als sie meinen Vater mit unserem Kindermädchen erwischte. Zu Hause, in der eigenen Wohnung. Sie packte meine Schwester und mich und kam mit uns nach Deutschland. Kuschen lag ihr nicht. Sie war es gewohnt zu bestimmen. Fünf Jahre lang
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