Schwaben-Rache
Regalen. Sie öffnete die Nachbartür: dasselbe Bild. Nichts als Wäsche. Überrascht ließ sie die Lampe aufleuchten, tastete den ganzen Schrankinnenraum damit ab. Wäsche, wohin sie auch blickte. Und dafür hatte sie die Tür demoliert.
Kopfschüttelnd schloss sie die schwere Holztür wieder. Der geheimnisvolle Raum hatte sie völlig aus dem Konzept gebracht. Was wollte Breuninger mit so viel Wäsche? Und warum verschlossen? Wenn der mächtige Schrank hier mit Kleidungsstücken und Bettwäsche gefüllt war, was verwahrte er dann in dem riesigen Spiegelungetüm im Schlafzimmer? Ebenfalls Wäsche? Oder interessantere Dinge?
Sie verharrte einen Moment in völliger Ruhe, lauschte. Kein Ton, absolute Stille. Als sie den Schrank genauer betrachtete, merkte sie, dass sie sich hatte täuschen lassen. Die Wäsche füllte nicht den gesamten Innenraum des Monstrums. Im Sockelbereich fehlten auf der ganzen Länge des Schrankes mehr als dreißig Zentimeter, die von einer zusätzlichen Holzwand verschlossen waren. Da ließ sich allerhand verstauen, was man nicht sofort offenlegen wollte. Sie öffnete die Tür erneut, machte sich am unteren Schrankbereich zu schaffen. Der Trick war nicht einfach, aber wirkungsvoll. Man musste die beiden Bretter unten fest auf den Boden drücken, bis sie aus der Sperre ausrasteten, damit sie sich hochziehen ließen. Neugierig leuchtete sie den Sockelinhalt ab. Papiere, Stoffreste, eine alte Schreibmaschine. Ein billiges, altes Modell, Marke Kaufhaus. Sie konnte es eigentlich nicht wert sein, besonders sicher verwahrt zu werden. Warum also verbarg Breuninger sie hier im Schrank?
Routinemäßig nahm Neundorf ein Blatt Papier, um darauf einige Buchstaben mit der Schreibmaschine zu tippen. Der Lärm hallte durch den Raum. Sie hielt inne, drehte den Kopf zur Seite, um auf Geräusche zu achten, zog dann das Blatt aus der Maschine. Sie betrachtete die Buchstaben im Licht ihrer Taschenlampe.
Das ›h‹ war deutlich ausgeprägt, das ›s‹ ebenso. Alle anderen Typen waren leicht verschmiert, wobei beim ›u‹ nur ein einziger schwarzer Fleck zu sehen war. Der Innenraum dieses Buchstabens war völlig von Druckerschwärze verwischt. Das ›o‹ war leicht nach oben, das ›r‹ leicht nach unten verrutscht.
Irgendwie kam ihr das verschmutzte und leicht verrutschte Schriftbild bekannt vor. Sie hatten noch darüber gespottet, dass die Idioten wenigstens die Buchstabentypen hätten reinigen sollen, bevor sie ...
Die Erinnerung traf sie wie ein Schlag. Das verrutschte ›o‹ und ›r‹ sowie die verschmierte Gesamterscheinung des Textes. Und ein Großbuchstabe, das ›Z‹: In einem Bekennerschreiben hatte ihm der gesamte mittlere Bereich gefehlt, so dass nur die obere und die untere Querlinie zu erkennen waren.
Neundorf spannte das Papier noch einmal in die Maschine ein, tippte ein ›o‹, ein ›r‹, irgendwelche weiteren Typen, dann ein Wort, das mit dem ›Z‹ begann. ›Zustände‹: Mehrfach hatten sie es geschrieben, dauernd wiederholt. »
Wir kämpfen dafür, die alten Zustände wiederherzustellen
.«
Die Maschine gab einen komischen Ton von sich, als sie am Ende der Zeile angekommen war – einen Ton, der alles Mögliche sein konnte, nur nicht das übliche »Pling«, das den Benutzer dazu aufforderte, den Handhebel zu bedienen. Es war eher ein »Plup« oder ein »Pluff« – und dann war da noch ein Geräusch.
Gerade als sie der Maschine das Blatt wieder entrissen hatte und im Schein der Lampe die verblüffend genaue Übereinstimmung erkannte, hörte sie in unmittelbarer Nähe des Hauses Stimmen.
Kein Zweifel, es handelte sich um dieselbe Maschine, jenes alte, billige Modell, mit dem das Bekennerschreiben vom Wagenburgtunnel in Stuttgart aufgesetzt worden war. Gerade diese auffälligen Merkmale hatten es ihnen sehr erleichtert, die folgenden Briefe als aus einer anderen Quelle stammend zu identifizieren. Wenn hier in diesem Schrank, in einem verbarrikadierten Geheimfach, hinter einer streng verschlossenen Tür, diese Maschine lagerte, dann bedeutete das – vorausgesetzt, kriminaltechnische Untersuchungen würden ergeben, dass jener Bekennerbrief aus dieser Quelle stammte ...
Plötzlich spürte sie ein Zittern in ihren Armen, ihren Beinen, ihrem ganzen Körper. Breuninger selbst hatte die Bekennerbriefe der Leute geschrieben, die ihn – angeblich – entführt hatten. Das Schreiben sei in sich nicht stimmig, hatte der Psychologe des LKA beharrt, ihm fehle die innere Logik. Dazu die
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