Schwaben-Wut
versucht, jede Hektik zu vermeiden. Deshalb laufen alle Kontakte übers Büro.«
Braig betrachtete die Frau ratlos. Die Nummer war Fremden nicht bekannt? Wie hatte der Mörder dann die Verbindung aufgenommen? Ein persönliches Treffen, zufällig arrangiert und dabei den späten Samstagabend-Termin ausgemacht?
Die Anschlüsse mussten auf jeden Fall überprüft werden, alle drei. Der offizielle, der private, das Handy. Vielleicht ergab sich trotz der Aussagen der Frauen überraschend ein unbekannter Kontakt.
Er bat um die Zahlenkombinationen. Auch in der Post nichts Auffälliges?
Braig musste nach einer anderen Spur suchen.
»Hatte Ihr Chef Feinde?«
»Feinde?« Die Stimme der Sekretärin klang schrill. In ihren Augen prangte pures Entsetzen.
»Ja, Leute, die ihm aus irgendeinem Grund übel wollten.«
»Warum denn?« Sie schien ihn nicht zu verstehen.
Braig versuchte, sich konkreter auszudrücken. »Gab es Streit mit Kunden? Unzufriedenheit wegen eines Hauses, einer Wohnung, Auseinandersetzungen ums Geld?«
»Das passiert selten. Unsere Kunden kennen die Preise, die Provisionen, unseren Verhandlungsspielraum. Wer nicht einverstanden ist, kann sich anderweitig umsehen. Warum sollten wir uns streiten?«
So viel Harmonie machte ihn stutzig. »Ich will es Ihnen deutlich sagen, warum Sie sich Ihre Antwort besser überlegen sollten: Wenn wir überhaupt eine Chance haben wollen, den Mörder Herrn Greilings zu finden, müssen wir sein Umfeld komplett auf den Kopf stellen. Wer hatte irgendwann Streit mit ihm, eine Auseinandersetzung, vielleicht auf den ersten Blick völlig belangloser Art, wer kannte einen Grund, ihn zu töten, so brutal noch dazu? Er hatte einen Termin mit einer unbekannten Person, wie Frau Greiling erklärte, es muss also irgendjemanden geben, der mit ihm abrechnen wollte.«
Wenn diese Person wirklich mit dem Mörder identisch ist, sagte er im Stillen zu sich selbst.
Tabea Scheich sah ihn erschrocken an.
»Denken Sie darüber nach. Lassen Sie sich Zeit. Hier ist meine Nummer. Gleich, was Ihnen einfällt – und sei es auch noch so absurd – rufen Sie mich an, es ist wichtig.«
Er wandte sich an die Tochter des Toten, gab ihr ebenfalls seine Karte. »Ich bitte auch Sie um Ihre Hilfe, Frau Carl, so schmerzvoll es für Sie sein mag. Jedes kleine Detail kann uns weiterbringen. Verständigen Sie mich bitte sofort, wenn Sie etwas erinnern.«
Gerade, als er sich verabschieden wollte, fiel ihm das Bild des jungen Burschen ein. Er zog es aus seiner Tasche, faltete es auseinander, glättete es. Die Frauen betrachteten das Foto neugierig, als er es ihnen entgegenstreckte.
»Kennen Sie diesen Mann?«
»Sollten wir? Können Sie uns erklären, wer da zu sehen ist?«
Braig zuckte mit der Schulter.
»Nein«, sagte auch Tabea Scheich, »so leid es mir tut. Der Mann ist mir nicht bekannt.«
7. Kapitel
Kurz vor 18 Uhr waren sie wieder im Amt. Braig hatte Söhnle per Handy von seiner Rückkehr verständigt, dabei sofort den mutlosen Ton in der Stimme des Kollegen bemerkt.
»Es ist absolut sinnlos, irgendjemanden zu fragen«, hatte der junge Beamte erklärt, »fast alle sind schon wieder weg zu ihrem Straßenfest. Die paar Leute, die ich zu Hause antraf, haben andere Sorgen, als Verbrecher zu jagen. Eine auffällige Person beobachtet? Die können sich kaum halten vor Lachen. Tausend auffällige Figuren rennen hier rum. Wer unter 40 ist denn zur Zeit nicht besoffen oder bekifft oder beides zugleich? Das höre ich den ganzen Mittag.«
Braig hatte Söhnle aufgefordert, mit ihm zurückzufahren. Sie mussten die örtliche Presse verständigen, einen Aufruf zur Mitarbeit veröffentlichen, alles andere hatte anlässlich des durch das Fest bedingten Zustandes der Stadt keinen Sinn.
Der Tag hatte – außer der Erstellung des Fahndungsbildes am Vormittag – nichts erbracht. Kein Hinweis auf ein Motiv, keinen Verdacht hinsichtlich eines oder mehrerer Täter. Braig war sich darüber klar, dass er die fromme Familie noch genauer in Augenschein nehmen sollte.
Ihre Eltern und ihr Bruder seien Mitglieder einer Freikirche, hatte ihm Esther Carl noch erklärt, einer Organisation, die aus den USA kam, straff hierarchisch aufgebaut war und deren Mitglieder sich wie eine große Familie fühlten. Gemeinsame Gottesdienste, Bibelstunden und bewusste Isolation von der übrigen Bevölkerung waren ihre Kennzeichen.
»Sie leben in einer bösen Welt?« hatte er süffisant gefragt, weil er die Distanz spürte, mit der die junge
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