Schwaben-Wut
schüttelte den Kopf. »Der Junge ist nicht ehelich geboren. Die Mutter war meist alleinerziehend. Zeitweise gab es einen Stiefvater, aber der suchte nach kurzer Zeit das Weite. Eiding heißt der Mann, Michael Eiding. Die einzige Person im Umkreis Stechers, die wir noch nicht erreichen konnten. Die Nachbarn meinen, er sei auf einem Wochenendtrip mit seiner Familie. Er hat wieder geheiratet, lebt in Heilbronn.«
»Heilbronn?« Braig trommelte auf den Schreibtisch. »Von Schwäbisch Hall aus türmte Stecher mit dem Fluchtwagen nach Öhringen. Die Richtung stimmt. Heilbronn liegt nicht allzu weit davon entfernt.«
»Ich weiß. Sein Haus wird observiert. Sobald der Mann auftaucht, nehme ich ihn mir vor. Gestern Abend haben wir alle Zimmer durchsucht, nichts. Keinerlei Hinweis auf Stecher. Aber das bedeutet nicht viel. Wenn wir Pech haben, hat er Stecher auf seinem Wochenendtrip ins Ausland geschafft. Sein Wagen ist zur Fahndung ausgeschrieben. Bisher konnten wir ihn nicht finden. Und die Nachbarn wissen nichts Genaueres.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, überlegte Braig. »Oder Stecher hält sich bei einem Knastkumpel versteckt. Hast du alle überprüft?«
Neundorf seufzte laut auf. »Für was hältst du mich?? Zuerst nahmen wir uns natürlich die Typen zur Brust, die in der Zeit, als Stecher in Untersuchungshaft saß, mit ihm Kontakt hatten und dann freikamen. Anschließend seine jetzigen Amigos, vor allem die bereits Entlassenen. Wir observieren zur Zeit zwölf Leute, einen davon in Hamburg auf dem Kiez.
Ich habe niemand ausgelassen, wirklich keinen einzigen, jedenfalls, soweit ich es bisher überblicke. Du kannst dir vorstellen, wie erfreut die Kollegen bis hinauf nach Hamburg über meine Wünsche sind.«
Das Telefon läutete, Neundorf nahm ab. Braig hörte die kräftige Stimme eines Mannes, bemerkte die Nervosität seiner Kollegin.
»Wir kommen so schnell wir können«, erklärte sie, »sorgen Sie bitte dafür, dass der Mann, nein, die ganze Familie, die Wohnung nicht mehr verlässt.«
Ihr Gesprächspartner stellte eine Gegenfrage, wurde von Neundorf unwillig zurecht gewiesen. »Das ist mir egal«, knurrte sie, »wenn er nicht hören will, nehmen Sie ihn fest. Für den Haftbefehl sorge ich dann schon, das geht auf meine Kappe. Ich brauche den Mann bzw. die ganze Familie. Dringend!«
Sie legte den Hörer auf, öffnete eine Schreibtischschublade, zog ihre Pistole vor, schnallte sich das Halfter um.
»Jetzt werde ich mir den Kerl mal ansehen, ob er mit Stecher unter einer Decke steckt. Und feststellen, wo er sein Wochenende verbracht hat. Seltsam, dass er gerade dann mit unbekanntem Ziel verschwindet, wenn sein Stiefsohn aus dem Gefängnis türmt. Vielleicht hat er sogar mit dessen Befreiung zu tun.«
Braig erhob sich von ihrem Schreibtisch.
»Ich will nur noch Erwin Bescheid geben«, sagte Neundorf, »er ist heute Abend dran, soll mich begleiten.«
Erwin Beck arbeitete seit einigen Jahren ebenfalls als Kommissar beim Landeskriminalamt.
Braig wünschte ihr viel Erfolg, ging in sein Büro, versuchte, sich auf seine Ermittlung zu konzentrieren. Er nahm das Fahndungsfoto aus der Tasche, legte es auf seinen Schreibtisch. Anschließend setzte er sich an seinen Computer, gab nacheinander die Namen der Familie Greiling und Tabea Scheich ein, um zu überprüfen, ob erkennungsdienstlich irgendetwas gegen sie vorläge.
Das Ergebnis hatte er innerhalb weniger Sekunden. Keinerlei Kontakte mit Polizeiorganen. Wie auch, überlegte er, bei der frommen Familie? Anscheinend lebten sie wirklich so anständig, wie sie taten.
Als er sich vom Monitor abwandte, stand Erwin Beck in der Tür.
»Fortschritte?«, fragte er.
Beck hatte einen schlanken, durchtrainierten Körper, war etwa 1.80 Meter groß, knapp unter vierzig. Er hatte blonde Haare, blaue Augen, ein schmales Gesicht, das in einem dünnen Bart auslief.
Irgendetwas an seinem Äußeren störte Braig. Er betrachtete ihn aufmerksam, begriff dann, was ihn irritierte. »Hallo. Ist deine Brille neu?«
Sie hatte schmale dünne Gläser, eine auffallend kräftige, in dunklem Grün glänzende Einfassung.
Beck grinste, nahm die Brille ab, betrachtete sie. »Der Arzt meinte, es sei höchste Zeit für eine neue. Sonst würde ich bei der nächsten Razzia noch den Falschen verhaften. Immerhin habe ich die alte seit fast vier Jahren.«
»War das nicht die ...« Braig kam nicht dazu, den Satz zu vollenden.
»Genau. Ich glaube, die ist im ganzen Amt bekannt.«
Die Story mit
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