Schwaben-Wut
handelte sich um die nächste Parallelstraße. Die Villa, vor der das grüne Fahrzeug parkte, war wie die übrigen Häuser im Baustil der sechziger Jahre errichtet: Ein breites Gebäude mit spitzwinkligem Dach, auf dem die Umrisse von Solarkollektoren zu erkennen waren. Rings ums Haus gepflegte Blumenrabatten, dazu üppig grüner, wie es schien, auf den Zentimeter genau gemähter Rasen. Gleich neben der Villa ein schmaler, kaum fünf Meter langer Pool, fast bis an den Rand mit klarem Wasser gefüllt, dahinter der Anbau einer Garage.
Braig lief mit großen Schritten die Treppe hoch, sah, dass die breite Eingangstür offenstand. Er läutete an der Glocke, zog seinen Ausweis. Ein uniformierter Kollege kam ihm misstrauisch entgegen.
Braig stellte sich vor, »vom LKA«. Er zeigte dem Beamten seine Kennkarte, drückte ihm die Hand. Dieser schien um die sechzig, hatte eine massige Figur, ein bleiches, leicht verschlafenes Gesicht.
»Klemmer«, sagte der Mann, deutete auf die junge Polizistin, die im Inneren des Hauses stand und tröstend den Arm um eine heulende Frau gelegt hatte, »das ist Kollegin Tränkle.« Die war höchstens Mitte zwanzig, hatte große dunkle Augen, ein breites, freundliches Gesicht.
»Sie sind schon lange da?«, fragte Braig. Er betrachtete die Einrichtung des Raumes, in den er getreten war: Ein weitläufiges, großzügig angelegtes Wohnzimmer mit breiten Orientteppichen und Eichenparkett, zwei massiven Schränken, einer pompösen Sofaecke und einem großen Tisch mit acht Stühlen am anderen Ende des Raumes. Beide Schränke standen offen, Schubladen waren herausgezerrt, ihr Inhalt lag über den Boden verstreut.
In der Küche, durch deren geöffnete Tür Braig sehen konnte, bot sich ein ähnliches Bild: Wahllos geöffnete Wandschränke, auf die Anrichte und den Boden getürmte Nudel-, Reis- und Suppenpackungen, zersplitterte Teller, Gabeln und Löffel.
»Seit zwei, drei Minuten«, antwortete Klemmer, »nicht länger.«
»Und?«
»Wir wissen es nicht. Sieht aber nicht gut aus, oder?« Er deutete auf die Unordnung in der Wohnung.
»Wer wohnt hier?«
Die Frau, die von der Polizeibeamtin getröstet worden war, löste sich aus deren Umarmung, wischte sich mit einem Tuch die Tränen aus den Augen. Sie war um die vierzig, trug ein weites Sweatshirt und modische blaue Jeans, hatte ein schmales Gesicht. »Professor Behler und seine Frau. Ich bin nur die Haushälterin. Claudia Fischer ist mein Name.«
Braig reichte ihr die Hand. »Würden Sie bitte genau erzählen, was geschehen ist?«
Frau Fischer schluckte, fuhr sich mit dem Tuch übers Gesicht. »Stört es Sie, wenn ich rauche?«, fragte sie.
Braig schüttelte den Kopf.
Die Frau zog sich umständlich eine Zigarettenpackung aus der hinteren Hosentasche, suchte nach ihrem Feuerzeug, fand es schließlich. Mit zittrigen Fingern steckte sie die Zigarette an.
»Normalerweise komme ich gegen acht«, sagte sie, inhalierte tief. »Heute war ich etwas später dran, vielleicht zehn Minuten. Mein Fahrrad hatte einen Platten. Als ich die Tür aufschloss«, sie stieß den Rauch heftig von sich, nahm einen neuen Zug, »kam es mir schon seltsam vor. Die war nicht abgeschlossen.«
»Das ist normalerweise der Fall?«, fragte Braig.
»Natürlich«, erklärte Claudia Fischer, »die beiden stehen nie vor halb neun auf.« Sie streckte die Zigarette von sich, starrte auf den Boden. »Als ich wie gewohnt ›Guten Morgen‹ rief, kam keine Antwort. Und ich sah auch schon die offenen Türen. Und das Durcheinander.« Sie zeigte auf den Boden, die Anrichte, die offenen Schränke. »Da war klar, dass etwas passiert sein musste.«
»Und dann verständigten Sie uns?«
»Ich schaute noch ins Schlafzimmer und in seinen Arbeitsraum. Dann in ihr Gästezimmer und das Bad. Dasselbe Chaos. Alles durchwühlt. Danach rannte ich ans Telefon. Was hätte ich sonst tun sollen?«
»Sie haben sich vollkommen richtig verhalten.« Braig verließ die Küche, betrachtete die übrigen Räume, stieg die Treppe hoch. Überall Unordnung, genau wie Frau Fischer es beschrieben hatte. Ausgeräumte Schubladen, durchwühlte Kleiderschränke, ein völlig auseinander genommener Schreibtisch.
Er ging wieder zurück, zog das Fahndungsbild des Biedermanns vor, zeigte es ihr. Sie hatte den Mann noch nie gesehen, wusste nichts mit ihm anzufangen. War er willkürlich in das Haus eingedrungen, um die Leute zu berauben? Oder hatte die Sache hier überhaupt nichts mit dem Kidnapper zu tun?
»Sind die
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