Schwaben-Wut
meinerseits sinnlos?«
»Vergiss bitte dein Abitur nicht.«
»Schade«, meinte sie, zwang sich noch zu ein paar belanglosen Floskeln, verabschiedete sich dann.
Braig spürte den kurzen Schmerz, den die Trennung verursachte, sprang aus dem Bett, um ihn zu vergessen. Er duschte, richtete sich ein bescheidenes Frühstück mit hartem Brot und dünnen Käsescheiben, lief dann zum Feuersee und nahm die nächste S-Bahn nach Bad Cannstatt.
Katrin Neundorf telefonierte gerade mit einem Arzt in Tübingen, als Braig ihr Büro betrat. »Gut, wir lassen ihn in Ruhe«, erklärte sie, bevor sie sich von ihrem Gesprächspartner verabschiedete.
Braig grüßte, erkundigte sich nach Bernhard Söhnle.
»Er ist völlig down«, antwortete sie, »wenn der Arzt nicht übertreibt, sieht es schlechter aus, als wir glaubten.«
»Keine Besuchserlaubnis?«
»Heute auf keinen Fall. Und morgen wohl auch nicht, wie es aussieht.«
Braig stöhnte, schüttelte den Kopf. »Er hatte es nicht leicht in letzter Zeit. Privat und beruflich.«
»Nein«, bestätigte sie ihn, »leicht hatte er es wirklich nicht. Wir sollten uns mehr um ihn kümmern.«
Er nickte, stieß mit dem Fuß gegen den Schreibtisch. »Wenn wir jemals die Zeit dazu finden.« All die vielen guten Vorsätze der letzten Monate, was war aus ihnen geworden?
»Irgendetwas Neues von Stecher?«, fragte er.
Neundorf winkte ab. »Der steckt mit dem Teufel im Bund. Erinnerst du dich noch an die alten Steimles in Echterdingen?«
Braig nickte bestätigend.
»Sie vermuteten doch, dass Gabriele Krauter vom Leibhaftigen besessen sei. Mir geht es mit Stecher langsam genauso.«
Er dachte an ihre Ermittlungen auf dem Gelände der geplanten Schwaben-Messe zurück.
»Nichts Neues aus München?«
»Ich habe heute Morgen fast zwei Stunden mit den Kollegen dort telefoniert«, antwortete sie. »Die haben Merz' Biografie vorwärts und rückwärts auf den Kopf gestellt. Es gibt keine Berührungspunkte mit Stecher. Nirgends.«
»Das bedeutet ...«
»Beide wollten zufällig dem gleichen Typ an den Kragen. Zufällig.«
»Glaubst du? Wirklich?«
Neundorf hob ruckartig ihre Schultern hoch. »Liefere mir Argumente, die das Gegenteil beweisen.«
»Woher?«
»Aus Stechers Umgebung. Merz hatte jedenfalls allen Grund, diesem Harf an den Kragen zu gehen. Genauso wie dem Raffler, den er wirklich umgelegt hat. Pistole und kleiner Hammer waren seine Werkzeuge, wie die Kollegen berichteten. Mobbing sei viel zu harmlos, das zu definieren, was in diesem Privatsender alles lief. Und noch läuft, wie empörte Mitarbeiter von Merz den Münchner Beamten erklärten. Raffler war ein Sexmaniac, hinter jedem Rockzipfel her, der sich in seiner Nähe bewegte. Er schob einen irren Hass gegen Merz, weil der ihm völlig ahnungslos, wie die Kollegen erfuhren, vor einigen Jahren einmal eine Sekretärin vor der Nase wegschnappte. Merz wollte das überhaupt nicht, hörten sie, die junge Frau war total in ihn verknallt. Aber Raffler schikanierte ihn seitdem, wo immer es ging.«
»Was hörten sie von Harf?«
»Ein ausgekochter Sadist. Er ging über Leichen, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber er bestimmte das Programm des Senders, hatte einen exzellenten Draht zu Temp, dem Besitzer des Ladens. Keiner war vor ihm sicher, besonders Merz nicht. Harf stocherte in jeder Wunde, die er fand. Voller Genuss, wie die Kollegen erfuhren.«
Braig atmete tief durch. »Dann hält sich dein Mitleid in Grenzen.«
»Wenn sich dieses Gefühl in dem Zusammenhang wirklich ergeben sollte, dann höchstens in Bezug auf Merz. Nur, wenn die nichts miteinander zu tun hatten. Wieso benutzen beide Pistole und Hammer. Das ist doch ...«
Er verstand, was sie meinte, ging in sein Büro. Auf seinem Notizkalender hatte er sich für den heutigen Samstag die Telefonnummern und Adressen des Schülers und des Lehrers notiert, die nach ihren Ermittlungen nähere Beziehungen zu Andreas Stecher unterhalten hatten – auch in der Zeit seines Gefängnisaufenthaltes. Sie waren wegen verschiedener Veranstaltungen in den vergangenen Tagen nicht zu erreichen gewesen. Braig wusste nicht, ob es sich lohnte, Kontakt zu ihnen aufzunehmen, war aber für jeden Strohhalm dankbar, um sich Stecher in irgendeiner Weise zu nähern. Ob ihnen eine dieser Personen neue Erkenntnisse über den flüchtigen Verbrecher mitteilen konnte oder gar Verbindungen zu dem jugendlichen Monster unterhielt, die Hinweise auf dessen gegenwärtigen Aufenthaltsort ergaben?
Braig wagte nicht, darüber
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