Schwaben-Zorn
seufzte die Frau, »Ihre Kollegen waren heute Mittag schon bei mir. Ich weiß nicht, wo Markus sich aufhält, wenn es Ihnen um das geht. Ich habe wirklich keine Ahnung. Was soll er denn jetzt schon wieder angestellt haben? Ihre Kollegen konnten mir keine Auskunft geben.«
Braig freute sich insgeheim, dass der Fahndungsapparat so gut funktionierte, hakte nach. »Wieso sagen Sie ›jetzt schon wieder‹?«
Marion Böhmer ließ ein bitteres Lachen hören. »Tun Sie doch nicht so, als wüssten Sie nicht Bescheid. Ich spreche von seinem vom Alkoholmissbrauch verursachten Aussetzer.«
»Aussetzer? Ist das nicht etwas verharmlosend formuliert?«
»Reden Sie von was Sie wollen! Der Junge ist nicht der Gewalttäter, als den Sie ihn darstellen. Bis auf diesen einen Vorfall hat er sich noch nie etwas zuschulden kommen lassen. Markus ist viel zu sensibel, um der Rolle gerecht zu werden, in der Sie ihn unbedingt sehen wollen. Haben Sie ihn schon beobachtet, wie zärtlich er mit seinen Pflanzen umgeht oder mit welchem Eifer er den Himmel untersucht?«
Braig hatte keine Lust, sich mit der Frau zu streiten. Ihre Reaktion war verständlich. Welche Mutter wollte schon wahrhaben, dass ihr Sohn ein Verbrecher war? »Frau Böhmer, ich will Markus in keine bestimmte Rolle drängen, ob Sie mir das glauben oder nicht. Dazu kenne ich Ihren Sohn viel zu wenig. Wir brauchen Markus in einer wichtigen Ermittlung. Mag sein, dass er vollkommen unschuldig ist. Aber er ist spurlos verschwunden und hat dabei einen unserer Beamten«, er sprach von sich in der dritten Person, weil er sich einerseits für das Vorgefallene genierte und andererseits den Gedanken an einen persönlichen Rachefeldzug gegen den jungen Mann vermeiden wollte, »eingesperrt, um fliehen zu können. Warum hat er das getan? Wir müssen es wissen, so schnell wie möglich.« Er hörte nicht auf die Gegenrede der Frau, unterbrach sie stattdessen mit kräftiger Stimme und beschwor sie, Markus zum Aufgeben zu bewegen, sobald er sich bei ihr meldete.
»Markus ist unschuldig, was auch immer er getan haben soll«, erwiderte sie.
»Dann soll er sich bei uns melden und uns das persönlich mitteilen«, sagte Braig. »Sie müssen mir versprechen, uns zu helfen, verstehen Sie?« Er hörte nur noch das heftige Atmen der Frau, hatte keine Lust, sich noch länger mit ihr auseinander zu setzen, legte auf.
Ob sie die Wohnung überwachen sollten? Er entschied sich, wegen der Entfernung vorerst darauf zu verzichten, gab Böhmers Namen in den Computer ein. Sie hatten wenig Informationen über seine familiären Verhältnisse gespeichert. Marion Böhmer war verwitwet, Markus ihr einziges Kind. Ein Bruder von ihr lebte in Berlin, eine Schwester in Kaiserslautern. Braig glaubte nicht, dass der junge Mann so weit geflohen war, beschloss, mit etwaigen Anrufen dorthin noch zu warten. Er nahm sich das Notizheft vor, das er in der Kiste unter dem Bett gefunden hatte, blätterte es dem Alphabet folgend auf.
Helmut Bläschke, Rudersberg. Handelte es sich um einen Freund Böhmers? Rudersberg lag keine 40 Kilometer von Stuttgart entfernt, unweit von Welzheim. Er griff zum Telefon, wählte die Nummer. Keine Reaktion. Braig ließ es neun Mal läuten, legte dann auf, versuchte es beim nächsten Namen.
Martin Craile, Geradstetten. Vielleicht hatte er diesmal Glück. Geradstetten lag etwa in der Mitte zwischen Stuttgart und Welzheim.
Er erreichte eine weibliche Stimme. »Craile.«
»Hier ist Braig. Kann ich Herrn Martin Craile sprechen, bitte?«
»Den Martin? Der isch leider net do.«
»Vielleicht können Sie mir weiterhelfen«, schlug Braig vor, »ich suche Markus Böhmer.«
»Markus Böhmer? Wer soll das sein?«
»Sie kennen ihn nicht?«
»Nie ghört, den Name. Wie kommet Sie auf uns?«
»Er soll ein Freund von Martin sein.«
»Ach so. Ja, das isch gut möglich. Mein Sohn hat viele Freunde. Die kennet mir net alle.«
»Martin ist Ihr Sohn? Wann ist er wieder zu sprechen?«
»Heut Abend nemme. Der hockt wieder bei seinem Kumpel. Stern gucke, wisset Se?«
Braig horchte auf. »Ihr Sohn hat das Beobachten von Sternen als Hobby?«
Die Frau lachte. »Hobby isch gut. Des isch eher a Krankheit, so intensiv wie der des betreibt. Seine ganze Freizeit goht dabei drauf!«
»Er hat ein eigenes Fernrohr?«
»Sicher. Ohne des funktionierts ja net. Aber heut gucket se zusamme, mehrere Kerle. Wie alle paar Abend. Na ja, no kommet se wenigstens unter d’Leut und machet nix Dummes.«
Braig bedankte sich für
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