Schwaben-Zorn
Zimmer lag noch immer in tiefster Dunkelheit.
Braig zwang sich aus dem Bett, stolperte ins Bad, stellte sich unter die Dusche. Das warme Wasser vermochte es nicht, seine Lebensgeister zu wecken. Er trocknete sich ab, holte sich frische Wäsche aus dem Schrank, brühte Kaffee auf. Hinter seinen Schläfen pochten heftige Schmerzen.
Braig ging zum Telefon, rief im Diakonissenkrankenhaus an. Die Schwester hatte keine Zeit, versicherte ihm aber, dass es Ann-Katrin besser gehe und dass sie im Verlauf des Tages wahrscheinlich auf die normale Station verlegt werde. Er bedankte sich für die Auskunft, aß zwei Brote mit Marmelade, beschloss, sofort in der Klinik vorbeizuschauen.
Ann-Katrins Mutter saß schon am Bett ihrer Tochter. Braig war froh, dem nasskalten Novemberwetter zu entkommen, begrüßte beide. Er holte sich einen Stuhl, setzte sich.
»Du siehst schlecht aus«, sagte Irene Räuber.
»Ich hatte wenig Schlaf«, erwiderte er, »dauernd Motorengeheul. Ich wurde ein paar Mal wach.«
»Du arbeitest zu viel.«
»Du kennst meinen Job. Manchmal ist es eben hart.«
»Ist Katrin immer noch krank?«, erkundigte sich Ann-Katrin.
Braig schüttelte den Kopf. »Heute will sie wieder anfangen.«
»Du hast den Täter noch nicht ermittelt?«
»Zwei Hauptverdächtige«, antwortete er, »wenn ich Glück habe, hilft mir die DNA-Analyse.« Er versuchte, von seinen beruflichen Problemen abzulenken, erkundigte sich nach Ann-Katrins Befinden.
»Mir geht es besser«, erwiderte sie, »wirklich.«
»Konntest du heute Nacht schlafen?«
»Es ging.« Sie richtete ihren Oberkörper vorsichtig auf, legte sich auf die Seite. »Heute komme ich auf eine normale Station. Ein gutes Zeichen, oder?«
Er sah, wie ihre Augen hoffnungsvoll leuchteten, stimmte ihr zu.
»Die Ärztin hat es mir gestern Abend versprochen.«
»Vielleicht darfst du bald ganz aus der Klinik.«
»Das wäre schön, ja.«
Er versuchte, ihr Mut zuzusprechen, sie in ihrer Hoffnung zu bestätigen, freute sich, dass sich ihr körperlicher Zustand endlich besserte. Wenigstens ein Bereich meines Lebens, in dem es aufwärts geht, dachte er.
»In die Rehaklinik muss ich aber auf jeden Fall«, fügte Ann-Katrin hinzu, »so schnell wie möglich, sagt die Ärztin.«
»Schon wieder?«
»Sie erwähnte es gestern Abend. Ich soll mich darauf einstellen.«
Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Ihr letzter Aufenthalt in Markgröningen war erst wenige Monate her. »Hauptsache, du wirst gesund.«
Sie unterhielten sich über ihre Zeit in der Rehabilitationsklinik, ihre Hoffnungen und Ängste, die sie damals empfunden hatte. Sie kamen auf die physischen und psychischen Nöte der Menschen zu sprechen, die ihr dort begegnet waren. Braig spürte seine wachsende Unruhe, konnte nicht länger verbergen, dass die Aufgaben, die ihn heute erwarteten, seine Gedanken mehr und mehr beschlagnahmten. Er schielte zur Uhr, wusste, dass es höchste Zeit war, ins Büro zu gehen.
»Du sitzt auf heißen Kohlen«, sagte Ann-Katrin.
»Tut mir Leid.«
»Du wirst dich nie von deinen Ermittlungen lösen können. Ich fürchte, daran muss ich mich gewöhnen.«
»Es geht um einen grauenvollen Mord. Das Einzige, was ich für die Tote tun kann, ist, den Täter hinter Gitter zu bringen.«
»Was nützt ihr das jetzt noch?« Der bittere Ton in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
Er kannte das Argument, hatte es sich schon oft genug selbst vorgehalten. Wozu all die Anstrengung, all seine Mühe? »Vielleicht kann ich verhindern, dass er ein zweites Mal zuschlägt. Dass ihm noch ein Mensch zum Opfer fällt.« Er wusste, wie unnatürlich seine Worte klangen.
Braig erhob sich von seinem Stuhl, stellte ihn dorthin zurück, von wo er ihn geholt hatte, verabschiedete sich dann. »Gebt mir Bescheid, auf welches Zimmer du kommst«, bat er.
Ann- Katrin nickte. »Theresa will heute Abend noch vorbeischauen«, sagte sie.
»Ich werde es ebenfalls versuchen«, versprach er.
Das Fax mit den Ergebnissen der beiden DNA-Analysen lag schon auf seinem Schreibtisch, als er sein Büro betrat. Braig nahm das Papier in die Hand, überflog den Text, den Rössle handschriftlich niedergeschrieben hatte.
DNA-Abgleich des Haares auf der Kleidung von Christina Bangler mit Robert Bangler und Markus Böhmer.
Beide Proben negativ. Haar weder von Bangler noch von Böhmer.
Tut mir Leid.
Rauleder schreibt das Protokoll unserer Untersuchung. Sollen wir es dem Staatsanwalt schicken oder kümmert ihr euch darum?
Gruß,
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