Schwaben-Zorn
die Auskunft, nahm sich das Notizheft wieder vor, versuchte es beim nächsten Namen.
Hans Denkel in Böblingen war nicht zu erreichen, auf seinem Anrufbeantworter entschuldigte sich eine grauenvoll verzerrte, piepsige Stimme für seine Abwesenheit und bat darum, eine Nachricht zu hinterlassen. Braig verzichtete darauf, wählte stattdessen die Nummer Felix Gakstatters in Leonberg. Zum ersten Mal an diesem Abend hatte er Glück.
»Gakstatter.«
»Braig. Sind Sie Herr Felix Gakstatter?«
»Ja. Wieso?«
»Ich suche Markus Böhmer.«
Die Stimme des Mannes klang völlig überrascht. »Bei mir?«
»Ist das so ungewöhnlich?«
Gakstatter lachte laut. »Allerdings. Was soll Böhmer bei mir?«
»Ich denke, Sie sind miteinander befreundet?«
»Wir sind Hobby-Astronomen und tauschen ab und zu unsere Beobachtungen aus. Befreundet? Außer auf dem Bildschirm via Internet habe ich ihn noch nie gesehen.«
Braig blätterte das Notizheft durch, überlegte, ob es sich vielleicht bei allen Namen um Hobby-Astronomen handelte.
»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte Gakstatter.
Braig blieb vorsichtig. »Ich bin ein Bekannter von Markus. Er gab mir eine Liste von Namen und Nummern, für den Fall, dass er nicht zu erreichen wäre.«
»Und auf dieser Liste stehe ich auch?«
»Ja«, erklärte er, »außerdem ein Florian Hingerle in Waldenbuch, Stefan Kreul in Nellmersbach, Kevin Mäule in Auenwald …«
»Das sind alles Hobby-Astronomen«, unterbrach ihn der Mann, »wir tauschen manchmal unsere Beobachtungen aus oder versuchen gemeinsam, bestimmte Sternkonstellationen zu ermitteln, deshalb sind mir die Namen geläufig.«
»Aber Sie kennen sich nicht persönlich?«
»Nein, so weit reichen unsere Beziehungen nicht. Es geht um die Sterne, klar?«
»Ich verstehe«, sagte Braig, »dann ist es auch wenig wahrscheinlich, dass Markus einen der Männer heute Abend besucht?«
»Ich weiß es nicht. Wie gesagt, unsere Verbindung besteht in gelegentlichen Mails oder Anrufen.«
Braig überlegte, ob er seinen Gesprächspartner bitten sollte, sich bei ihm zu melden, falls er doch irgendetwas von Böhmer hören sollte, unterließ es dann aber. Das gab nur Unruhe, ohne Erfolg.
Wie Gakstatter es angedeutet hatte, entpuppten sich die übrigen in dem Notizheft aufgeführten Personen als Hobby-Astronomen. Von Böhmer keine Spur.
Er fühlte sich hungrig, müde und ausgelaugt. Wo hielt sich der junge Mann verborgen? War die Flucht ein Eingeständnis seiner Schuld?
Das Telefon läutete. Braig sah auf die Uhr, seufzte. Fünf nach acht. Er wollte nach Hause, etwas essen, mit Ann-Katrin telefonieren, schlafen.
Neundorf wunderte sich nicht besonders: »Du bist ja immer noch im Büro!«
Er berichtete ihr, was er unternommen hatte, hörte nur mit halbem Ohr auf ihre Worte.
»Hast du das mit dem angeblichen Ex-Freund überprüft?«, fragte sie.
»Welchen Ex-Freund meinst du?«
»Christina Banglers. Böhmer behauptete, er habe sie bei ihm abgeholt. Du hast es mir vorhin erzählt.«
Braig verstand, was sie meinte. »Tut mir Leid. Den habe ich völlig vergessen. Die Hucht Böhmers …«
»Ist schon okay. Ich wollte dich nur daran erinnern. Morgen bin ich wieder im Amt.«
»Ist es nicht zu früh?«
»Ich bin fit, keine Angst. Bis dann.«
Er legte auf, suchte die Nummer Rebekka Banglers in Weinstadt, wählte. Keine Reaktion. Er ließ es neun Mal läuten, legte dann auf. Morgen war auch noch ein Tag.
18. Kapitel
Die Nacht war schlimmer als jede andere zuvor. Braig kam es vor, als hätten sich sämtliche Autofahrer der Umgebung entschlossen, eine Rallye durch die Stuttgarter Innenstadt durchzuführen und sich dabei auch noch möglichst lautstark in Szene zu setzen.
Alle paar Minuten riss ihn das Dröhnen eines oder mehrerer aufheulender Motoren aus einem sowieso schon unruhigen Schlaf. Er lag dann jedes Mal, ihm als Ewigkeiten erscheinende Zeiträume wach, versuchte mühsam, wieder einzuschlafen. Einmal, dem Blick auf die Uhr zufolge kurz vor drei, hatte er sein Fenster aufgerissen und voller Wut auf die Straße geblickt, um den Saboteur der nächtlichen Ruhe zu entdecken – ohne Erfolg. Er sah nur noch die roten Rücklichter eines Fahrzeugs. Fluchend und voller Zorn hatte er sich wieder ins Bett geworfen.
Als der Wecker kurz vor sieben läutete, glaubte Braig, es sei kurz nach Mitternacht. Mit verschleierten Augen richtete er sich müde auf, stoppte das Nerven-zehrende Geräusch. Er hatte Mühe, die Umrisse seines Mobiliars zu erkennen. Das
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