Schwach vor Sehnsucht
erwähnt worden, nicht einmal auf dem Gipfel ihrer sexuellen Lust. War es möglich, dass sie beide Angst davor gehabt hatten, es auszusprechen?
“Joshua ist nach Frankreich gekommen. Er hat Carmellas Agentur ausfindig gemacht, erfahren, wo wir sind, und ist uns gefolgt. Ich habe ihm gesagt, es wäre bequemer gewesen, die Tür aufzubrechen. Und er hat erwidert, er wolle dich nicht erschrecken, du hättest in eurer Ehe schon genug gelitten. Er liebt dich so sehr, Jo. Er ist vor Sorge fast wahnsinnig gewesen, bis ich ihm versichert habe, du seist ganz bestimmt hier. Wenn du ihm jetzt nicht folgst, bist du nicht die Frau, für die ich dich gehalten habe.”
Es bestürzte sie, was Joshua alles getan hatte, nur um mit ihr zu sprechen. Er musste sie lieben. Eine andere Erklärung gab es nicht. “Was glaubst du, wohin er gegangen ist?” Sie zog schnell ihre Jacke an.
Dan zuckte mit den Schultern. “Wohin ist er früher gegangen, wenn er von dir wegmusste?”
“Zu seiner Geliebten”, sagte Joanna angespannt.
“Diesmal ja wohl nicht”, tadelte Dan sie seufzend.
Sie runzelte die Stirn. “Die Klinik. Meinst du wirklich, ich habe ihn früher vertrieben?”
“Die Frage kannst nur du selbst beantworten.”
Und sie wusste die Antwort nur allzu gut. Sie hatte Joshua in eine Affäre gedrängt. Hatte er sie sogar damals geliebt? Sie musste es in Erfahrung bringen und ihm sagen, dass sie ihn von Anfang an geliebt hatte.
Die Frau am Empfang in Joshuas Privatpraxis war ihr unbekannt. Patrick hatte sie vor einem Jahr als Ersatz für Angela eingestellt. Joanna stellte sich vor., und die Blondine zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
“Ist mein Mann hier?”
“Ja, aber …”
“In seinem Sprechzimmer?”
“Ja, aber…”
“Würden Sie bitte dafür sorgen, dass wir nicht gestört werden?”
“Mrs. Radcliffe!”
“Ja?” Joanna blieb an der Tür stehen.
“Dr. Radcliffe hat gesagt, er sei für niemand zu sprechen.”
“Das bezieht sich nicht auf mich”, erwiderte Joanna hochmütig. Dann wurde ihr klar, dass sie in ihrer Rolle als Joshuas Ehefrau wohl nicht sehr glaubhaft wirkte. Sie trug enge Jeans, einen dunkelblauen Pullover und eine Lederjacke und hatte sich das Haar mit einem blauen Band im Nacken zusammengebunden. “Keine Sorge”, beruhigte sie die Blondine lächelnd. “Er wird mich sehen wollen.” Sie war keineswegs so selbstsicher, wie sie klang, doch offensichtlich hatte sie die Sprechstundenhilfe überzeugt, denn die Frau zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder hin.
Zumindest war Joshua hier! Das versetzte Joanna in Hochstimmung, doch sie war auch nervös. Die nächsten Minuten waren für den Rest ihres Lebens entscheidend.
Blass, die Augen geschlossen, saß Joshua zurückgelehnt in seinem Sessel. Er hörte sie hereinkommen, öffnete die Augen und erstarrte.
Joanna machte die Tür hinter sich zu und ging zum Schreibtisch. “Ich will keine Scheidung, Joshua”, sagte sie langsam und deutlich. “Ich wollte auch die einjährige Trennung nicht. In jener letzten Nacht vor deiner Abreise habe ich erkannt, dass ich dich noch immer liebe …”
“Noch immer?” wiederholte er fast benommen.
“Ich habe dich in Kanada geliebt, Joshua”, erklärte sie sanft. “Ich habe dich während unserer ganzen Ehe geliebt, aber als Lindy gestorben ist…”
“Hast du mir die Schuld gegeben”, sagte er niedergeschlagen.
“Nein! Natürlich nicht. Wie kommst du denn darauf?”
“Ich bin Arzt…”
“Du konntest keine Wunder vollbringen. Wenn irgendjemand die Schuld hat, dann bin ich das.”
“Du? Niemand hätte Lindy mehr lieben können, als du es getan hast!”
“Ich wollte sie töten, bevor sie überhaupt geboren war”, erinnerte Joanna ihn bitter.
Joshuas Gesichtszüge wurden weicher. “Du bist ein verängstigtes Kind gewesen. Es war nicht schwer, dir das auszureden.” Er stand auf und kam zu ihr, berührte sie jedoch nicht. “Hast du dir die ganze Zeit die Schuld gegeben?”
“Du?”
“Um Himmels willen!” flüsterte er.
“Nachdem Lindy gestorben war, konnte ich es nicht mehr ertragen, dass du mit mir schläfst.
Ich dachte, du würdest mir dabei jedes Mal die Schuld an ihrem Tod geben. Dann, nach einer Weile wurde es bequemer, einfach zu glauben, ich würde dich und die Ehe mit dir hassen.”
“Du hast mich tatsächlich gehasst”, sagte Joshua bedrückt. “Wie hättest du es nicht tun können, da ich doch versucht hatte, an dem Abend nach Lindys Tod mit dir zu
Weitere Kostenlose Bücher