Schwaerzer als der Tod Thriller
die Aufgabe, die Zeit totzuschlagen, während derer sich überlegte, was er als Nächstes sagen wollte.
In all den Jahren ihrer Ehe hatte er wahrscheinlich höchstens drei Prozent von dem mitbekommen, was ihre Mutter jemals zu ihm gesagt hatte. Ihre Meinung hatte ihn nicht interessiert, genauso wenig wie die von Anne. Als sie neun Jahre alt gewesen war, erinnerte sie sich, hatte ihre Mutter sie ins Wohnzimmer geschickt und gesagt, sie solle sich vor dem Abendessen mit ihrem Vater unterhalten. Schon damals war Anne klar gewesen, dass das ein sinnloses Unterfangen war.
»Wirklich, Liebling«, hatte ihre Mutter gesagt. »Daddy möchte gern hören, was du heute in der Schule erlebt hast.«
Anne hatte ihre Mutter angesehen, perfekt frisiert, perfekt geschminkt, und das alles für einen Ehemann, der sie wie eine Dienstmagd behandelte, und gesagt: »Mom, er weiß nicht einmal, in welcher Klasse ich bin.«
Es hatte ihr auf der Stelle leidgetan, weil sie mit ihrer Ehrlichkeit ihre Mutter verletzt hatte. Wahrscheinlich wusste ihr Vater auch jetzt nicht, welche Klasse sie unterrichtete, weil es ihn nicht interessierte, was sie machte, obwohl er selbst Lehrer gewesen war. Er war ein ausgemachter Egoist, ihn interessierte nur, dass sie sich um die Dinge kümmerte, die ihm wichtig waren.
»Du kommst spät«, sagte er. »Schon wieder. Was für eine Entschuldigung hast du heute?«
»Das FBI hat mich angeworben, damit ich undercover in diesem Mordfall ermittle.«
Er wirkte angesäuert. »Das FBI heuert keine Frauen an.«
»Doch. Wir schreiben das Jahr 1985, Dad. Frauen haben auch schon das Wahlrecht.«
»Ha. Sehr witzig«, grummelte er und schlurfte davon. »Das Wahlrecht.«
Anne warf den Bußgeldbescheid auf den Esszimmertisch und rief auf dem Weg in die Küche: »Hast du deine Tabletten genommen?«
»Natürlich. Ich bin ja nicht senil. Du brauchst mir nicht ständig zu sagen, was ich tun soll.«
»Gut. Wenn das so ist, dann ziehe ich nächste Woche aus.«
Sie warf einen Blick in die Plastikbox, in der sich seine Tagesration an Tabletten befand. Er hatte nicht einmal die Hälfte davon genommen. Wenn sie ihn fragte, warum nicht, würde er ihr zweifellos erklären, weil er im New England Journal of Medicine einen Artikel gelesen hatte, während er darauf wartete, dass ihm sein Hautarzt eine Warze entfernte, und deshalb mehr über Medikamente wusste als jeder der drei Spezialisten, die er regelmäßig konsultierte.
»Vielleicht solltest du dir eine Freundin suchen«, rief Anne und kippte die Tabletten in ihre Hand. »Dann wäre es wie in den guten alten Zeiten.«
»Ich weiß wirklich nicht, warum du immer wieder damit anfängst«, knurrte er. »Ich war ein sehr guter Ehemann.«
»Tatsächlich?«, sagte sie und ging zurück ins Esszimmer. »Für wen?«
»Du hast schon immer Partei für deine Mutter ergriffen.«
»Ja. Was für ein Pech, dass ich nicht dieses Ego-Gen von dir geerbt habe. Mein Leben wäre so viel einfacher.«
»Bist du jetzt fertig?«, fragte er eisig. »Ich gehe nach nebenan, um mir Jeopardy! anzusehen. Die Ivers sind so eine reizende Familie.«
Anne verdrehte die Augen. »Du kannst Judith Iver nicht
ausstehen. Am Dienstagabend hast du sie noch als dumme Kuh bezeichnet.«
»Ich habe es ihr nicht ins Gesicht gesagt.«
»Ach so, dann ist es natürlich etwas anderes. Hier«, sagte sie und reichte ihm eine Handvoll Tabletten und ein Glas Wasser. »Ich lass dich nicht aus dem Haus, bevor du die genommen hast.«
»Ich verstehe nicht, warum du dir so viel Mühe machst«, nörgelte er. »Du wärst doch froh, wenn ich tot wäre.«
»Ja, aber der Verdacht würde als Erstes auf mich fallen.«
»Ich bin sicher, deine neuen Freunde beim FBI würden dich beschützen.«
»Noch besser wäre es, wenn ich an all die üppigen Zwanzigdollarspenden erinnern würde, die du dem Sheriff jedes Jahr gemacht hast.«
Ihr Vater schnaubte und warf sich in die Pose eines Shakespeare-Schauspielers auf der Bühne. König Richard der Unausstehliche. »Dass sie empfinde, wie es schärfer nage/Als Schlangenzahn, ein undankbares Kind/Zu haben!«
»Also bitte!«, sagte Anne und sah rasch die restliche Post durch. »Ich bin dem Menschen, der mich großgezogen hat, ungemein dankbar. Nur zufällig bist das nicht du.«
»Ich gehe«, erklärte er zutiefst beleidigt. Jetzt hatte er etwas, worüber er reden konnte, wenn er bei Judith Iver und ihrem Neffen saß. Er konnte darüber jammern, wie gemein seine Tochter zu ihm war, und eine
Weitere Kostenlose Bücher