Schwanengesang – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
nicht von mir, dass ich Ihnen zu einer Aufführung verhelfen kann, selbst wenn sie mir gefällt«, sagte Adam. »Sie wissen genauso gut wie ich, wie gering die Aussichten darauf sind … Im Übrigen hoffe ich doch sehr, dass es sich um einen Klavierauszug handelt? Angeblich soll Liszt mit Blick auf die komplette Orchesterpartitur den gesamten Tristan nachgespielt haben – da kann ich leider nicht mithalten.«
»Ich schätze, das gehört ins Reich der Legenden.« Stapleton zeigte sich interessiert. »Ich glaube, dass nicht einmal Liszt so etwas konnte … Nein, es handelt sich um einen Klavierauszug. Ach, und ich muss Ihnen noch die Abschminkcreme zurückgeben, die Sie mir ausgeliehen haben.«
»Behalten Sie sie«, sagte Adam. Judith und Stapleton verabschiedeten sich und begaben sich nach draußen in die Kälte.
»Abschminkcreme?«, fragte Elizabeth. »Doch nicht etwa der teure Tiegel, den ich dir für Don Pasquale gekauft habe?«
Adam beruhigte sie. »Ich habe ihm die Creme gegeben, die Edwin stibitzen wollte. Die habe ich nicht mehr benutzt.«
»Was für ein nettes Paar«, sagte Fen gedankenverloren. »Und allem Anschein nach sehr verliebt. Aber das Mädchen hat schwache Nerven, und Stapleton sieht aus, als müsste er zum Arzt … Ich frage mich, ob ihr Shorthouses erbärmlicher Vorschlag wirklich so wenig ausmachte, wie sie vorgibt.«
»Sie wollen sagen«, fragte Mudge, »dass sie eventuell ein Motiv gehabt haben könnte, Shorthouse umzubringen?«
»Es gibt eine Form des körperlichen Angewidertseins« – Fen redete wie zu sich selbst – »die ein junges Mädchen wie sie durchaus zu einem Mord treiben könnte. Ich glaube, dass sie sich vor jedem lüsternen Annäherungsversuch heftig ekeln würde. Jedenfalls kann man es nicht ausschließen. Und man kann die Möglichkeit nicht ausschließen, dass Stapleton über Shorthouses Verhalten erbost genug war, um einen Mord zu begehen. Alles scheint davon abzuhängen, wie weit Shorthouse es tatsächlich getrieben hat.« Er machte eine Pause. »Somit hätten wir vier Verdächtige mit einem Motiv: Peacock (seine Karriere, die von der Aufführung abhängt), Charles Shorthouse (Geld), Stapleton (Rache) und Judith Haynes (verletztes Ehrgefühl). Und wo liegen die Probleme? Erstens: Wieso wurde Shorthouse sowohl gefesselt als auch mit Nembutal betäubt? Zweitens: Wer rief warum bei Shand an? Drittens: Was machte Shorthouse zu so später Stunde noch im Opernhaus?«
»Du vergisst das eigentliche Problem«, sagte Adam. »Nämlich, wie Shorthouses Mörder die Tat überhaupt bewerkstelligen konnte.«
»Ich habe eine ansatzweise Vorstellung davon«, erwiderte Fen, »wenn ich auch zugegebenermaßen nicht verstehe … na, lassen wir das. Ich muss Charles Shorthouse einen Besuch abstatten. Adam, kennst du ihn?«
»Ein wenig.«
»Gut. Begleite mich. Wir essen zu Mittag, und dann fahren wir nach Amersham.«
Kapitel 10
So kehrte Sir Richard zu seinem Haus auf dem Boar’s Hill zurück, während Mudge geheimnistuerisch seiner Arbeit nachging. Fen, Adam und Elizabeth aßen in Fens Arbeitszimmer im St. Christopher’s College zu Mittag. Der große, rechteckige Raum ging auf den zweiten Innenhof hinaus und war von einem Durchgang, der zu den Gartenanlagen führte, über wenige mit Teppich ausgelegte Stufen zu erreichen. Die Wände waren, wie es immer heißt, von Bücherregalen verdeckt. Darüber hingen chinesische Miniaturen, und auf dem Kaminsims thronten leicht angeschlagene Büsten und Plaketten der großen Meister der englischen Literatur. Fens Hausdiener servierte ihnen das Essen an einem edlen Sheraton-Tisch.
Sie unterhielten sich über Opern im Allgemeinen und über Wagner im Besonderen. Die Spekulationen über Shorthouses Tod waren aufgrund des Mangels an Informationen an ihre unvermeidlichen Grenzen gestoßen. Beim Kaffee berieten sie über ihre Pläne für den Nachmittag.
»Ganz sicher werde ich nicht nach Amersham mitkommen«, sagte Elizabeth. »Es ist viel zu kalt. Wann wollt ihr losfahren?«
»Jetzt gleich, denke ich.« Fen sah auf seine Armbanduhr. »Zwei Uhr. Wir werden mindestens eine Stunde brauchen, um dorthin zu kommen – selbst mit Lily Christine.«
»Ich hoffe doch sehr, dass du ein vorsichtiger Fahrer bist«, bemerkte Adam düster. In Autos wurde ihm eher mulmig zumute. »Was wirst du anfangen, Liebling?«
»Ich denke, ich werde mir einen Film ansehen«, antwortete Elizabeth. »Oder am Kaminfeuer einschlafen. Wann seid ihr zurück?«
»Mit etwas Glück
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