Schwanengesang (German Edition)
geweigert. Ich müsse selbst zusehen, wie ich klarkomme, hat sie gesagt. Ihr habe auch niemand etwas geschenkt. Dabei ist sie selbst erst durch die Heirat reich geworden. Als ihr Mann sein Unternehmen verkauft hat, hat er dreißig Millionen Mark dafür bekommen. Fünfzehn Millionen Euro! Gemeinsam wollten sie nach dem Verkauf verreisen und das Leben genießen, aber ein halbes Jahr später war er tot.« Rottmann schnipste mit den Fingern. »Herzinfarkt, einfach so. Und seitdem saß meine Tante wie Dagobert Duck allein auf einem Riesenhaufen Geld und wusste nicht, wohin damit. Aber für mich hatte sie nicht mal lumpige hunderttausend Euro übrig. Mehr hätte ich nicht gebraucht, um mein Unternehmen aufzubauen. Stattdessen musste ich mich mit dem Autohandel durchschlagen. Ich habe den Kontakt abgebrochen und ab diesem Tag nie wieder ein Wort mit meiner Tante gewechselt.«
Marc hörte einfach nur zu. Er kannte Typen wie Rottmann. Narzissten, die nie selbst Schuld hatten, sondern den Grund für ihr Scheitern immer bei anderen suchten.
»Aber das scheint sich dann ja irgendwann geändert zu haben«, versuchte Marc ihn am Reden zu halten.
»Ja, ungefähr einen Monat vor ihrem Tod hat sie mich angerufen und mir gesagt, dass sie bald sterben werde. Ich habe das nicht besonders ernst genommen. Meine Tante hatte eigentlich immer irgendwelche gesundheitlichen Probleme und dachte, sie hätte nicht mehr lange zu leben. Aber diesmal schien es tatsächlich schlecht um sie zu stehen. Sie hat mir vom Magenkrebs im Endstadium erzählt und dass sie mich und meine Familie vor ihrem Tod noch einmal sehen wolle. Aber dann ist sie damit rausgerückt, um was es ihr wirklich ging: Sie hat sich Sorgen gemacht, was aus ihren Katzen wird. Sie hat gesagt, sie sei bereit, mich in ihrem Testament als Erben einzusetzen, aber nur unter der Auflage, dass ich mich nach ihrem Tod um ihre Katzen kümmere und mit meiner Familie in ihr Haus einziehe. Sie meinte, eine Katze könne sich eher an einen neuen Besitzer als an eine neue Umgebung gewöhnen. Nun, ich habe durchaus meinen Stolz, aber so groß, dass ich wegen eines Streits, der schon Jahre zurücklag, die ganzen Millionen in den Wind schieße, ist er nun auch nicht. Ich bin also auf den Deal eingegangen und seitdem hat sich unser Verhältnis wieder verbessert. Ich habe sie dann ein paar Mal bis zu ihrem Tod besucht.«
»Haben Sie bei Ihren Besuchen auch Dr. Heinen kennengelernt?«
»Klar, der ist dauernd um meine Tante herumgeschlichen. Wollte wohl auch was von dem Kuchen abhaben.« Er lächelte böse. »Na, da hat er sich ja wohl geschnitten.«
»Sie kannten Heinen also nicht näher?«
»Gott bewahre! Guten Tag und Auf Wiedersehen, mehr hatten wir uns nicht zu sagen.«
Marc konnte sich nur zu gut vorstellen, dass die beiden die Beute Johanna Reichert wie die Aasgeier umkreist und dabei sorgfältig darauf geachtet hatten, dass ihnen der andere nicht in die Quere kam.
»Dr. Heinen ist verschwunden«, startete Marc einen weiteren Versuch. »Haben Sie eine Ahnung, wo er stecken könnte?«
Rottmann hob die Hände zu einer abwehrenden Geste. »Wie gesagt, außerhalb der Villa hatte ich zu dem Mann keinen Kontakt.«
»Wussten Sie, dass Ihre Tante sich das Leben nehmen wollte?«
»Nein, ich wusste nur, dass sie schwer krank war. Oder dass sie das zumindest geglaubt hat. Wie ich jetzt erfahren habe, hatte sie gar keinen Krebs.«
»Ich bin genauso getäuscht worden wie Frau Reichert«, versicherte Marc. »Haben Sie eine Idee, wer ein Interesse daran gehabt haben könnte, Ihre Tante systematisch in den Tod zu treiben?«
»Sie meinen, außer mir?« Auf Rottmanns Lippen erschien ein wölfisches Grinsen, das Jack Nicholson zur Ehre gereicht hätte. »Nun, da ist natürlich der zweite Erbe, dieser komische Verein.«
»Können Sie mir sagen, wie der heißt?«, hakte Marc nach.
»Ah, irgendein merkwürdiger Name, den ich mir einfach nicht merken kann. Warten Sie mal.« Rottmann verließ das Zimmer und kehrte kurz darauf mit einem Aktenordner zurück, den er noch im Gehen durchblätterte. »Meine Tante war so freundlich, mir schon vor ihrem Tod eine Abschrift des Testaments zukommen zu lassen«, erklärte er. »Wahrscheinlich wollte sie sichergehen, dass ihre Katzen sofort versorgt werden, denn bis zur offiziellen Testamentseröffnung können Wochen oder gar Monate vergehen. Ah, hier habe ich es: Der Verein heißt Wider das Vergessen der Aktion T4 .«
Marc zog einen Kugelschreiber und einen
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