Schwanengesang (German Edition)
alles, was du herausgefunden hast? Ich gebe zu, das ist schrecklich, aber was hat das mit Johanna Reicherts Ermordung zu tun?«
Gabriel fixierte seinen Freund, als wartete er, dass bei ihm der Groschen fiel, dann schüttelte er fast unmerklich den Kopf. »Verstehst du denn nicht? Johanna Reichert wurde mit einem überdosierten Medikamentencocktail getötet. Und ihr Vater hat behinderte Kinder mit einer Überdosis Arzneimittel ermordet.«
Einen Moment lang herrschte Stille. »Du glaubst, das ist kein Zufall?«, fragte Marc dann.
Gabriel holte tief Luft. »Tatsache ist, dass dieser Verein durch Johanna Reicherts Tod um zehn Millionen Euro reicher geworden ist.« Er machte eine dramatische Pause, bevor er fortfuhr. »Aber es ist auch noch ein ganz anderes Motiv denkbar.«
»Jetzt mach es nicht so spannend!«
»Du hast mir erzählt, der Bruder des Großvaters dieser Yvonne sei gleich nach der Geburt in der Klinik, in der Johanna Reicherts Vater gearbeitet hat, ermordet worden. Vielleicht sollte diese Tat gerächt werden.«
Marc machte ein skeptisches Gesicht. »Aber Johanna Reichert ist doch nicht für die Taten ihres Vaters verantwortlich.«
»Du weißt doch, wie manche Menschen ticken«, erwiderte Gabriel. »Ich sage nur: B. D. Calhoun.«
»B. D. Calhoun?«
»Er war der Söldner, den J. R. für Anschläge auf saudische Ölfelder engagiert und später an die CIA verraten hat.«
»B. D. Calhoun ist mir ein Begriff, aber was um Himmels Willen hat er mit dieser Sache zu tun?«
»Nach dem Verrat will Calhoun sich an J. R. rächen. Er will J. R.s Sohn vor dessen Augen töten und zitiert dabei die Bibel: ›Die Sünden der Väter werden gerächt werden an den Söhnen.‹«
Marc lehnte sich zurück. Sein Gesicht spiegelte seine Zweifel wider. »Ich weiß nicht. Das scheint mir ziemlich weit hergeholt zu sein.«
»Diese Theorie hätte aber den ganz besonderen Charme, dass sie erklären würde, warum die DVD an die Polizei geschickt wurde«, meinte Gabriel. »Der oder die Täter konnten nicht hinnehmen, dass Johanna Reichert offiziell eines natürlichen Todes gestorben ist. Sie wollten vor aller Welt deutlich machen, dass sie genauso gestorben ist, wie die behinderten Kinder durch ihren Vater. Der oder die Täter wollten mit der DVD ein Zeichen setzen, wenn du so willst: Johanna Reicherts Vater ist mit seinen Taten ungeschoren davongekommen, aber wir vergessen nichts und irgendwer muss irgendwann dafür bezahlen. Immerhin war diese Yvonne, die Enkelin des stellvertretenden Vereinsvorsitzenden, einer von nur zwei Menschen, der Gelegenheit hatte, die Speicherkarte zu kopieren.«
Marc musste zugeben, dass Gabriels Argumentation etwas für sich hatte. »Möglich«, gab er zögerlich zu. »Aber Yvonne ist nicht gerade ein Genie. Ich habe sie zwar nur ein paar Mal kurz gesehen, aber sie scheint mir intellektuell kaum in der Lage zu sein, sich so etwas auszudenken und durchzuziehen.«
»Der Dümmste kann so etwas ausführen, wenn ein Klügerer ihm genau sagt, was er zu tun hat. Zum Beispiel Yvonnes Großvater.«
»Herbert Klein? Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Er hat auf mich einen absolut friedlichen Eindruck gemacht. Ja, er hat sogar das fünfte Gebot zitiert: Du sollst nicht töten!«
»Eben, ein religiöser Fanatiker. Genau so jemanden suchen wir. Und steht in der Bibel nicht auch was von ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹?«
Marc nickte langsam. »Vielleicht hast du recht. Allerdings müssten er und Yvonne dann mit Heinen zusammengearbeitet haben. Schließlich konnte nur ein Arzt Frau Reichert die Krebserkrankung einreden. Auf jeden Fall kann es nicht schaden, dieser Yvonne einmal auf den Zahn zu fühlen. Wenn sie etwas mit dem Mord an Johanna Reichert zu tun hat, scheint sie mir das schwächste Glied in der Kette zu sein. Vielleicht knickt sie ein, wenn man ihr ein wenig zusetzt.«
24
Am nächsten Tag fuhr Marc zum dritten Mal die Auffahrt zu Johanna Reicherts Haus hinauf.
Er hatte durch einen Anruf bei Rottmann erfahren, dass Yvonne nach wie vor in der Villa beschäftigt war und mittlerweile sogar dort wohnte. Ihre Aufgabe bestand darin, die Handwerker, die das gesamte Interieur renovieren sollten, ins Haus zu lassen und deren Arbeit zu überwachen. Außerdem sollte sie sich um Johanna Reicherts Katzen kümmern, bis Rottmann mit seiner Familie einzog.
Marc stellte seinen Golf auf dem Vorplatz zwischen mehreren Kleintransportern diverser Handwerksbetriebe ab und ging auf die
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