Schwanengesang (German Edition)
letztes warmes Lächeln. »Dann will ich mal. Tschüss.« Er streckte seine Hand aus, die Yvonne sofort ergriff. Marc konnte ihr die Erleichterung förmlich ansehen.
Er stieg in sein Auto und fuhr langsam die Auffahrt hinunter. Wenn Yvonne an dem Komplott gegen Johanna Reichert irgendwie beteiligt war, dann sicher ohne ihr Wissen, dachte er. Ein solcher Ausbund an Naivität war ihm selten untergekommen. Aber vielleicht hatte Gabriel recht: Selbst der Dümmste konnte einen Mord begehen, wenn ein anderer ihm sagte, was er zu tun hatte.
Als Marc die Straße erreichte, hielt er nach wenigen Metern an und parkte so, dass er den Eingang zu Johanna Reicherts Anwesen genau im Auge hatte. Und er wurde nicht enttäuscht. Keine fünfzehn Minuten später bog ein nagelneuer dunkelblauer S-Klasse-Mercedes in die Auffahrt. Seine Vermutung hatte sich bestätigt: Yvonne hatte jemanden erwartet. Marc versuchte, den Fahrer zu erkennen, aber die Scheiben waren abgedunkelt. Er wartete ein paar Sekunden, dann stieg er aus und lief zu Fuß die Auffahrt hoch. Als er die Haustür sehen konnte, versteckte er sich hinter einem Strauch. Der Mercedes parkte bereits vor dem Haus und Marc stellte sich auf eine längere Wartezeit ein, bis der Fahrer das Haus wieder verlassen würde. Zehn Minuten später ging die Haustür auf und Marc staunte. Yvonne trat ins Freie, allerdings trug sie jetzt nicht mehr ihr Hausmädchenoutfit, sondern ein schwarzes Ministretchkleid, das kaum ihre Oberschenkel erreichte, und Schuhe mit zehn Zentimeter hohen Fick-mich-Absätzen. Marc spitzte die Lippen zu einem lautlosen Pfiff.
Yvonne stellte sich neben die Beifahrertür des Mercedes und wartete. Wenige Sekunden später kam ein Mann durch die Haustür und schloss sie ab. Er ging zu Yvonne und steckte ihr etwa eine halbe Minute lang die Zunge in den Hals, bevor er die Beifahrertür des Mercedes öffnete und sie Platz nehmen ließ. Dann stieg er selbst auf der Fahrerseite ein und der große Wagen setzte sich majestätisch in Bewegung. Marc schaute ihm hinterher, bis er aus seinem Blickfeld verschwunden war.
Sieh an, dachte er. Der feine – und obendrein verheiratete – Herr Rottmann.
25
Der Sitz der Heinol GmbH befand sich in einem Gewerbegebiet am Rande Güterslohs. Marc hatte einige Schwierigkeiten, die Adresse, die Heinens Teilhaber ihm bei ihrem Telefonat durchgegeben hatte, zu finden. Er musste sich bei zwei Speditionen durchfragen, bis er schließlich vor einem dreistöckigen, futuristischen Gebäude stoppte, in dessen Fassade sich die Sonne spiegelte. Marc wusste zwar nicht genau, was er erwartet hatte, doch dieser Palast aus Glas und Stahl überstieg seine Vorstellungen bei Weitem. Offenbar handelte es sich bei Heinol um ein florierendes Unternehmen.
Marc parkte seinen Golf, stieg aus und spazierte auf die gläserne Eingangstür zu. Daneben hatte sich ein ganz in Schwarz gekleideter Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes postiert, der Marc mit finsterer Miene musterte. Marc erwartete schon, von ihm angehalten zu werden, aber der bullige Mann ließ ihn kommentarlos passieren.
So gelangte er in eine große, minimalistisch gestaltete Halle, die das gesamte Erdgeschoss einnahm. Er steuerte auf den runden, natürlich ebenfalls gläsernen Empfangstresen zu, hinter dem eine zu stark geschminkte Frau saß. Ihr glattes, schwarzes Haar war zu einem Pagenkopf geschnitten, sie trug einen dunklen Hosenanzug. Obwohl sie konzentriert einem Gesprächspartner am Telefon lauschte, bedeutete sie Marc, sich einen Moment zu gedulden.
Marc nutzte die Gelegenheit, sich umzuschauen. Der Tresen und eine kleine Sitzgruppe aus schwarzem Leder mit einem Acryltisch in der Mitte stellten die einzigen Einrichtungsgegenstände dar. Schaut her, schien diese Halle sagen zu wollen, wir können es uns leisten, mit Platz verschwenderisch umzugehen. Auch Menschen waren – abgesehen von der Empfangsdame – nicht zu sehen.
Auf ihrem Tresen weckten einige Prospekte, die in einem Plexiglaskasten präsentiert wurden, Marcs Aufmerksamkeit. Er nahm eine der Hochglanzbroschüren heraus und las die Überschrift: Gegen Krebs ist ein Kraut gewachsen: Die Ginseng-Wurzel! Offenbar handelte es sich um eine Werbeschrift für Heinens Heilmittel.
»Was kann ich für Sie tun?«, unterbrach eine Stimme Marcs Lektüre.
Er wandte sich der Empfangsdame zu, die ihn mit einem derart freudigen Gesichtsausdruck anstrahlte, als wäre ihr lange verschollener Bruder wiederaufgetaucht.
Marc steckte den
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