Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwanengesang (German Edition)

Schwanengesang (German Edition)

Titel: Schwanengesang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Hoppert
Vom Netzwerk:
können, sollte man sie dann wieder auftauen. Gruselig, oder?«
    Marc hatte von diesem Paradoxon schon gehört. Es gab tatsächlich Menschen, die so große Angst vor dem Tod hatten, dass sie sich selbst umbrachten.
    »Wussten die anderen Angestellten auch von Frau Reicherts Selbstmordabsichten?«
    »Ja, wir haben fast jeden Tag darüber gesprochen.« Marc sah, dass sich Yvonnes Wangen rot verfärbten. Beschämt senkte sie den Blick. »Und wir haben auch oft darüber gelacht. Keiner hat geglaubt, dass sie sich wirklich umbringen wird.«
    Marc lenkte das Thema in eine andere Richtung. »Sie sagten, sie sei bei vielen Ärzten in Behandlung gewesen?«
    »Genau. Mindestens zehn gleichzeitig. Jürgen, der Chauffeur, hat mir erzählt, dass er sie dauernd von einem Arzt zum nächsten kutschieren musste. Das ging wohl jahrelang so, bis sie Dr. Heinen kennengelernt hat.«
    »Und das war …?«
    »Ungefähr vor einem Jahr. Dann war nur noch er hier, keine anderen Ärzte mehr. Er kam jede Woche mindestens ein Mal. Frau Reichert hat mir gesagt, dass sie endlich einen Arzt gefunden hat, dem sie voll vertrauen kann und der sie und ihre Beschwerden ernst nimmt.«
    »Ist Ihnen bekannt, dass Herr Dr. Heinen bei Frau Reichert Krebs diagnostiziert hat?«
    »Ja, das hat sie mir erzählt. Und es hat ihr natürlich ziemlich zu schaffen gemacht. Seelisch und so. Sie hat tage- und nächtelang nur geweint. Aber ich glaube, sie war auch irgendwie froh, dass jemand bestätigen konnte, dass sie sich ihre Krankheiten nicht nur eingebildet hat. ›Jetzt, wo ich weiß, was ich habe, kann ich die Krankheit bekämpfen‹, hat sie oft zu mir gesagt. Aber daraus wurde nichts.«
    »Es ging ihr immer schlechter, nicht wahr?«
    »Genau. Man konnte fast dabei zusehen, wie sie immer mehr abnahm. Und sie hat geschrien vor Schmerzen! Außerdem musste sie sich dauernd übergeben und hatte Krämpfe. Das war eine schreckliche Zeit.«
    »Aber einen anderen Arzt hat sie nicht mehr konsultiert?«
    »Nein, es war nur noch Dr. Heinen hier. Er hat alles geregelt und zum Beispiel dem Koch gesagt, was er kochen soll, und mir, was ich ihr geben darf und was nicht.« Sie schloss für einen Moment schwärmerisch die Augen. »Ein toller Mann!«
    »Dr. Heinen ist verschwunden«, ergänzte Marc. »Haben Sie eine Ahnung, wo er stecken könnte?«
    Yvonne schüttelte vehement den Kopf. »Nein, weiß ich wirklich nicht.«
    »Hatten Sie den Eindruck, dass Frau Reichert und Herr Dr. Heinen sich ›näher‹ kannten?«
    »Sie meinen, ob die beiden was miteinander hatten?« Yvonne kicherte wie ein Schulmädchen. »Nein, das wäre mir aufgefallen. Vielleicht wollte sie was von ihm, aber ich glaube, er nicht von ihr.«
    »Waren außer den Hausangestellten und Dr. Heinen zu Frau Reicherts Lebzeiten viele Gäste oder Besucher im Haus?«
    »Nein, eigentlich nicht. Das heißt, ihre beste Freundin war ab und zu hier. Ungefähr einmal die Woche.«
    »Charlotte Vollmer?«
    »Ja.«
    »Was ist mit Herrn Rottmann, dem Neffen?«
    »Ja, der war auch manchmal hier, aber erst ganz zum Schluss und noch viel seltener.« Yvonne warf einen weiteren nervösen Blick auf ihre Uhr. »Aber ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr«, drängte sie.
    »Eine Frage noch«, sagte Marc schnell. »An dem Tag, an dem Frau Reichert gestorben ist, befand sich eine Videokamera in ihrem Schlafzimmer. Erinnern Sie sich?«
    Yvonne nickte stumm.
    »In dieser Videokamera war eine Speicherkarte. Haben Sie eine Kopie dieser Karte angefertigt? Vielleicht auf einer DVD oder einem USB-Stick?«
    Yvonne starrte ihn an. »Nein, warum hätte ich das tun sollen?«
    Marc betrachtete die junge Frau forschend. Entweder hatte sie nicht die geringste Ahnung, wovon Marc sprach, oder sie war eine hervorragende Schauspielerin.
    Yvonne trippelte derweil ungeduldig von einem Bein auf das andere, als müsse sie dringend auf die Toilette. »Ich habe jetzt aber wirklich keine Zeit mehr«, quengelte sie.
    Marc überlegte kurz. Eigentlich brannten ihm noch ein paar Fragen unter den Nägeln, doch er beschloss, das Gespräch an dieser Stelle zu beenden. »Natürlich. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Und viel Glück für die Zukunft. Wissen Sie schon, ob Sie nach dem Einzug von Herrn Rottmann und seiner Familie hierbleiben können?«
    »Ich …« Sie lief erneut rot an und schlug sich die Hände vor den Mund, wie ein kleines Kind, das beinahe ein Geheimnis verraten hätte. »Ich weiß nicht«, sagte sie schließlich.
    Marc schenkte ihr zum Abschied ein

Weitere Kostenlose Bücher