Schwanengesang (German Edition)
Wichtiges zu finden war, sonst hätte die Polizei es mitgenommen. Trotzdem setzte er sich und fing mit einer Grobdurchsicht an. Auf dem Rücken eines Aktenordners stand in großen Buchstaben: Verträge doppelt . Bingo!
Als Marc den Ordner aufschlug, stellte er fest, dass er ausschließlich Fotokopien diverser Verträge enthielt, offenbar Sicherungskopien.
Marc wusste, dass die Polizei immer die Original-Unterlagen mitnahm, wenn sie welche finden konnte. Dies war hier wahrscheinlich der Fall gewesen und deshalb hatten sie auf die Sicherstellung der Kopien verzichtet. Marc blätterte die Verträge oberflächlich durch, bis ein Dokument sein Interesse weckte. Es handelte sich um die Kopie eines Pachtvertrages für eine Fischerhütte am Achensee im südlichen Niedersachsen. Heinen hatte die etwa dreißig Quadratmeter große Hütte vor zehn Jahren samt einem Ruderboot angemietet und zahlte dafür einen nicht unbeträchtlichen Pachtzins. Marc stand auf und betrachtete erneut die Fotos mit Heinens Trophäen. Und tatsächlich: Auf dem Bild mit dem Wels waren im Hintergrund der Teil eines Sees, ein Steg und eine Holzhütte zu erkennen.
Marc blätterte weiter in dem Aktenordner. Ganz am Ende stieß er auf den Gesellschaftsvertrag der Heinol GmbH. Heinen und Nolte hatten die GmbH vor neun Jahren gegründet und hielten jeweils fünfzig Prozent der Gesellschaftsanteile. Marc überflog den Vertrag, der keine ungewöhnlichen Klauseln enthielt: Firma und Sitz der Gesellschaft, Gegenstand des Unternehmens, Betrag des Stammkapitals, Höhe der jeweiligen Stammeinlage. Doch bei einem Paragrafen stutzte er: Beim Tod eines Gesellschafters sollte dessen Geschäftsanteil auf den anderen Gesellschafter übergehen. Marc runzelte die Stirn. Hatte Nolte nicht gesagt, dass ihn mit Heinen privat nicht viel verband? Warum dann diese Großzügigkeit dem Geschäftspartner gegenüber? Andererseits hatten die beiden das Unternehmen gemeinsam aufgebaut und Heinen war seit Jahrzehnten geschieden und hatte keine Kinder. Also gab es niemanden, den er im Falle seines Todes hätte absichern müssen. Vielleicht war es bei Nolte ähnlich.
Marc holte sich aus der Küche eine große Plastiktüte und stopfte den Aktenordner hinein. Vielleicht konnten ihm die Verträge ja noch von Nutzen sein, auch wenn er im Augenblick nicht die geringste Ahnung hatte, wie.
Anschließend verließ er das Haus auf dem gleichen Weg, wie er es betreten hatte, hielt ein Taxi an und ließ sich zurück nach Bielefeld fahren.
35
Schon einen Tag nach seinem Einbruch in Heinens Haus machte Marc einen Abstecher zum Achensee.
Nach einer Fahrt von anderthalb Stunden erreichte er ein großes Waldgebiet. Er studierte die Karte und die Wegbeschreibung, die er sich aus dem Internet ausgedruckt hatte, und bog auf einen unbeschilderten Wirtschaftsweg ein, der tief in den Wald hineinführte. Trotz der Beschreibung verfuhr er sich mehrfach und musste Wanderer nach dem Weg fragen. Irgendwann erreichte er schließlich die Wiese vor dem abgelegenen See. Und dort entdeckte Marc etwas, was sein Herz schneller schlagen ließ: einen schwarzen Porsche Cayenne mit dem Kennzeichen GT-GH 8888. Heinen war also hier gewesen und hatte den Ort offenbar auch nicht mehr verlassen. Zumindest nicht mit seinem Wagen. Marc näherte sich dem Auto vorsichtig und schaute in den Innenraum. Er war leer und die Türen verschlossen.
An die Wiese schloss sich ein schmaler Trampelpfad an. Als Marc ihm folgte, gelangte er zunächst durch dichtes Schilf, doch nach etwa hundert Metern öffnete sich der Blick auf den See. Dann sah er sie: die kleine Holzhütte mit Veranda, die auf einer ebenfalls hölzernen Plattform auf Pfählen einige Meter vom Ufer entfernt im Wasser stand. Die Plattform ging in einen langen Steg über, an dessen Ende ein Ruderboot träge vor sich hin dümpelte. Marc zog die Schuhe aus und betrat auf Socken die leise knarrenden Holzplanken der bis zum Ufer reichenden Plattform. Er hielt inne und lauschte, doch bis auf das Vogelgezwitscher und das leise Rauschen der Bäume war es vollkommen still. Also schlich Marc einmal um die Hütte herum, wobei er feststellte, dass sämtliche Fenster mit Fensterläden verrammelt waren. Dann umrundete er die Hütte noch einmal zur Hälfte, bis er an der Vordertür stehen blieb, die zum See hin ausgerichtet war.
Für einen Moment überlegte Marc, an die Tür zu klopfen, doch er entschied sich dagegen. Langsam bewegte er Zentimeter für Zentimeter die Klinke herunter
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