Schwanengesang (German Edition)
natürlichen Todes gestorben war. Aber Heinen reichte als alleiniger Sündenbock nicht aus, weil er von Johanna Reicherts Tod finanziell nicht profitierte. Also brauchtest du einen zweiten Sündenbock mit einem derartigen Motiv, um von Charlotte Vollmer abzulenken. Du kennst mich genau und wusstest, dass ich Johanna Reicherts Bitte wahrscheinlich nicht ablehnen würde. Du wusstest, dass ich als Jurist auf einer Videoaufzeichnung bestehen würde. Und so konntest du der Polizei den Täter präsentieren. Genauso wichtig war das Vermächtnis über die fünfhunderttausend Euro in Johanna Reicherts Testament. Du wusstest, dass ich dich um Hilfe bitten würde, wenn es zu Ermittlungen gegen mich kommen sollte. So hattest du mich die ganze Zeit unter Kontrolle und konntest versuchen, meine Ermittlungen zu torpedieren, indem du mir deine schwachsinnigen Theorien eingeredet hast. Doch ein winziger Fehler ist dir unterlaufen, wenn man denn überhaupt von einem Fehler sprechen kann: das Passwort, das aus J. R.s Häftlingsnummer bestand.«
Gabriel sah Marc mehrere Sekunden lang mit versteinerter Miene an. »Du musst mir glauben, Marc!«, sagte er dann in beschwörendem Tonfall. »Charlotte und Heinen haben diese Sache ohne mein Wissen durchgezogen.« Er hielt einen Moment inne und starrte gegen die Decke. Dann atmete er schwer durch. »Also gut, ich gebe es zu: Ich bin nicht ganz unschuldig daran, dass die beiden dich als Sündenbock ausgesucht haben. Aber dessen war ich mir nicht bewusst! Charlotte hat mich gefragt, ob ich einen guten Anwalt kennen würde. Ich habe zuerst gelacht, weil ich dachte, sie macht einen Scherz und habe geantwortet, der stehe genau vor ihr. Doch sie brauchte in diesem speziellen Fall einen anderen Rechtsanwalt. Da habe ich deinen Namen genannt. Aber ich wusste in dem Moment nicht, wozu sie dich brauchte.«
»Auch dann nicht, als ich dich um deinen Rat gefragt habe, ob ich Johanna Reichert bei ihrem Selbstmord helfen soll?«
»Doch«, gab Gabriel zu. »Ich wusste, dass Charlotte und Johanna Reichert sich kennen. Charlotte hat mir auch erzählt, dass ihre Freundin Magenkrebs hat und plante, ihrem Leiden ein Ende zu setzen. Aber ich bin natürlich davon ausgegangen, dass es sich um einen echten Selbstmord handelt. Und wenn du dich recht erinnerst, war ich es, der dir dringend abgeraten hat, der Reichert zu helfen. Hätte ich das getan, wenn ich hinter allem stecken würde? Gut, ich hätte unser Gespräch als Anlass nehmen können, dir von Charlotte und mir zu erzählen, aber ich dachte, du lachst mich aus, wenn ich dir sage, dass ich mit einer über zwanzig Jahre älteren Frau zusammen bin.«
»Und was ist hiermit?«
Marc holte einen Zettel aus seiner Jacke und legte ihn vor Gabriel auf den Schreibtisch.
Der warf nur einen flüchtigen Blick darauf. »Was soll das sein?«, fragte er.
»Das ist eine Kopie des Zettels, den ich von Dr. Kröger, Johanna Reicherts Notar und Testamentsvollstrecker, bekommen habe. Charlotte Vollmer oder Heinen haben Johanna Reichert weisgemacht, sie hätten jemanden gefunden, der ihr bei ihrem Selbstmord helfen würde, aber diese Person verlange eine Gegenleistung. Deshalb wollte Johanna Reichert ihr Testament zu meinen Gunsten ändern, aber sie musste meinen Namen und meine Anschrift an den Notar weitergeben. Auf dem Zettel ist zwar alles mit Blockbuchstaben geschrieben, aber die Schrift kam mir gleich bekannt vor. Als ich gestern bei Charlotte Vollmer den Zettel gesehen habe, auf dem unter anderem das Passwort für ihren PC notiert war, habe ich die Schrift wiedererkannt. Charlotte Vollmer hat mir gesagt, der Bekannte, der den PC für sie besorgt habe, habe auch den Zettel geschrieben.«
»Das mag sein, aber dieser Bekannte war nicht ich.«
»Ach, Gabriel, wir hatten doch eben schon festgestellt, dass niemand außer dir sich dieses Passwort ausgedacht haben kann.«
»Das ist kein Beweis.«
»Nein, da hast du recht. Aber was hältst du davon: Als ich heute Vormittag bei der Polizei war, um mich nach den Fingerabdrücken auf der DVD und auf dem Foto aus Melanies Nachttisch zu erkundigen, habe ich die Polizisten gebeten, auch die Fingerabdrücke auf dem Passwortzettel aus Charlotte Vollmers Wohnung und dem Adresszettel von dem Notar zu sichern. Die Polizei hat das Original sofort von Dr. Kröger abholen und untersuchen lassen. Und du wirst es nicht glauben: Es gibt nur von einem Menschen Fingerabdrücke, die auf beiden Zetteln zu finden sind. Und die stammen von dir.
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