Schwanengesang (German Edition)
erschießen.«
Gabriels Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. »Du übersiehst nur eines, Marc. Das hier ist keine Seifenoper, das ist die Wirklichkeit. Und in dieser Wirklichkeit habe ich schon einen Menschen ermordet.« Er seufzte. »Es tut mir wirklich leid, wie sich alles entwickelt hat, Marc. Ich hatte dir ja schon gesagt, dass ich in Stuttgart an die falschen Leute geraten bin. Ich habe gekokst, bis mir das Zeug aus den Ohren wieder rausgekommen ist. Ich habe Unmengen Geld verbraten, dummerweise Geld, das ich nicht hatte. Um das Geld wieder zurückzubekommen, habe ich angefangen zu spielen, in illegalen Klubs, in Kasinos und an der Börse. Am Ende war alles noch schlimmer. Ich habe mir immer mehr Geld geliehen, auch von äußerst dubiosen Gestalten. Du kennst das, Marc, du warst einmal fast in derselben Situation. Mit diesen Leuten ist nicht zu spaßen.« Er hob seinen verbundenen Mittelfinger. »Vor einigen Wochen haben sie mich besucht und mir diese letzte Warnung dagelassen. Diese Typen sitzen mir seit Monaten im Nacken. Aber woher sollte ich das Geld nehmen? Die Kanzlei lief nicht und dich konnte ich auch nicht fragen. Ich weiß schließlich, dass du auch nichts übrig hast. Dann habe ich Charlotte Vollmer kennengelernt. Anfangs ging es mir bei dieser Beziehung wirklich nicht um Geld. Aber als die Drohungen dieser Geldhaie immer massiver wurden, habe ich sie um ihre Unterstützung gebeten. Charlotte war recht wohlhabend, aber nicht reich. Sie hätte mir bei Weitem nicht genug Geld geben können, um all meine Schulden zurückzuzahlen. Dann bin ich auf die Idee mit der Lebensversicherung gekommen. Es war alles so, wie du vermutet hast. Charlotte hat Heinen mit ins Boot geholt. Der Typ war ein Idiot. Er war fest davon überzeugt, mit seinen Behandlungsmethoden und seinem Heilmittel unentbehrlich für die Menschheit zu sein. Deshalb war er auch bereit, die Reichert zu opfern, um sein Unternehmen zu retten. Von meiner Existenz wusste Heinen die ganze Zeit nichts. Er ist davon ausgegangen, Charlotte würde das Geld aus der Lebensversicherung mit ihm teilen.«
»Tja, Heinen hat den Fehler gemacht, Charlotte Vollmer zu vertrauen, wie ich den Fehler gemacht habe, dir zu vertrauen.«
Das entlockte Gabriel ein Lächeln. »Ich hatte dir schon vor einiger Zeit gesagt, dass zu viel Vertrauen manchmal eine Dummheit ist. Das hättest du ernst nehmen sollen.«
»Wie konntest du eigentlich so sicher sein, dass ich Johanna Reichert helfen würde?«, wollte Marc wissen. »Und warum hast du mir bei unserem Gespräch im Konsulat geraten, die Finger von der Sache zu lassen?«
»Ach, Marc, ich kenne dich jetzt seit über zwanzig Jahren. Und ich weiß zwei Dinge über dich: Wenn man dich um etwas bittet, kannst du nicht Nein sagen, aber wenn man dir sagt, was du tun sollst, machst du garantiert das Gegenteil. Bei unserem Gespräch hattest du dich schon längst dafür entschieden, der Reichert zu helfen, wenn du ehrlich zu dir bist.« Er schüttelte den Kopf. »Na ja, jetzt ist sowieso alles zu spät. Eigentlich war gestern Abend schon alles zu spät. Als diese Typen mir den Finger gebrochen haben, haben sie mir ein Ultimatum gesetzt, ich hätte noch bis zum 13. April Zeit, ihnen ihr Geld zurückzuzahlen. Und das ist morgen. Mir war gestern schon bewusst, dass ich das unmöglich schaffen würde. Charlottes Tod war also vollkommen überflüssig, im Gegenteil, jetzt kann die Versicherung gar nicht mehr an sie auszahlen, selbst wenn sie es wollte. Aber ich bin gestern Abend einfach durchgedreht. Jetzt ist auch mein Leben keinen Pfifferling mehr wert. Diese Geldeintreiber werden kurzen Prozess mit mir machen.«
Er winkte mit seiner Pistole in Richtung Tür. »So, ich denke, nun weißt du alles. Und jetzt verschwinde!«
Marc schüttelte den Kopf. »Mach keinen Scheiß, Gabriel. Die Polizei kann dich schützen.«
»Niemand kann mich schützen. Anfangs dachte ich noch, ich könnte alles selbst in die Hand nehmen, deshalb habe ich mir auch diese Waffe besorgt. Aber ich mache mir etwas vor. Die werden immer eine Möglichkeit finden, mich kaltzumachen, auch im Gefängnis. Es gibt genug Häftlinge, die für wenig Geld einen Auftragsmord begehen.«
»Es gibt Einzelzellen«, erwiderte Marc matt.
»Und da soll ich die nächsten zwanzig Jahre meines Lebens verbringen? Nein, danke.«
Marc dachte fieberhaft nach. So durfte es nicht zu Ende gehen. »Denk an deine Kinder!«, beschwor Marc seinen Freund. »Denk an Julia! Was soll aus
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