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Schwanengesang (German Edition)

Schwanengesang (German Edition)

Titel: Schwanengesang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Hoppert
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eine noch über das andere. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als den Kragen seines Mantels aufzustellen und die Schultern hochzuziehen. Da diese Maßnahmen – wie er eigentlich auch wusste – keinerlei Einfluss hatten auf die Menge Regen, die er abbekam, war er klitschnass, als er das Grab erreichte.
    Dort warteten sie gemeinsam, bis vier Helfer den Sarg in dem ausgehobenen Loch versenkt hatten. Zuerst trat Julia an das Grab heran und verharrte dort eine Weile. Dann wurde sie von den anderen Trauergästen abgelöst und am Ende ging Marc nach vorne. Er griff nach dem Schäufelchen, das er mit etwas Erde füllte. »Mach’s gut, alter Freund«, sagte er leise, während er die Erde auf den Sarg fallen ließ.
    Nachdem er und die anderen Trauergäste Julia kondoliert hatten, zerstreute sich die kleine Schar schnell in alle Himmelsrichtungen. Ein Leichenschmaus war ohnehin nicht vorgesehen, das Wetter tat ein Übriges.
    Als sie alleine waren, nahm Julia Marc mit unter ihren Schirm und sie stapften gemeinsam durch den Matsch zum Parkplatz.
    »Danke, dass du gekommen bist«, sagte Julia.
    Marc musterte sie erstaunt. »Warum hätte ich nicht kommen sollen?«
    »Nun, nach allem, was ich gehört habe, hat Gabriel sich dir gegenüber nicht sehr anständig benommen. Er hat zumindest in Kauf genommen, dass du für Jahre ins Gefängnis wanderst und er hat Melanie Sachen untergeschoben, die eure Beziehung ernsthaft hätten gefährden können.«
    »Es war mir trotzdem ein Bedürfnis, heute dabei zu sein. Ich betrachte ihn immer noch als meinen Freund, trotz allem, was er getan hat.« Er zögerte. »Und ich mache mir Vorwürfe, dass ich seinen Selbstmord nicht verhindert habe«, fügte er hinzu.
    »Das ist Unsinn, Marc, und das weißt du auch. Niemand konnte wissen, dass er eine zweite Pistole hat.«
    Marc nickte, als decke sich das, was Julia gesagt hatte, in etwa mit seinen Überlegungen. Trotzdem fühlte er sich für Gabriels Tod verantwortlich.
    Julia ging schweigend neben ihm her und schaute ihn dabei ab und zu an, als kämpfe sie mit sich, die Frage zu stellen, die ihr auf der Seele brannte. Schließlich hatte sie sich durchgerungen. »Hat Gabriel noch etwas gesagt, bevor er …« Sie ließ den Satz unvollendet.
    »Seine letzten Worte waren, dass ich an die letzte Folge von Dallas denken sollte. Dann würde ich alles verstehen.«
    Julia sah ihn verständnislos an. Sie hatte die Dallas -Leidenschaft Gabriels nie geteilt. Also sah Marc sich zu einer Erklärung bemüßigt. »Die letzte Dallas -Folge ist eine Art Hommage an Frank Capras Ist das Leben nicht schön? mit James Stewart in der Hauptrolle, der die Figur des George Bailey spielt. Dort geht es darum, dass ein Engel George Bailey zeigt, wie das Leben seiner Verwandten, Freunde und Bekannten verlaufen wäre, wenn er nie gelebt hätte. In der letzten Dallas -Folge ist es im Prinzip genauso, nur zeigt hier der Teufel J. R., wie das Leben der anderen Protagonisten der Serie verlaufen wäre, wenn J. R. nie geboren worden wäre. Danach sagt der Teufel zu J. R., dass ihn niemand liebt, alle ihn verlassen haben und er nur einen Schuss abgeben müsse und alles hinter ihm liege. J. R. greift zu einem Revolver und führt ihn an seine Schläfe. Dann sieht man, dass Bobby einen Schuss hört, in J. R.s Zimmer stürmt und laut ›O mein Gott‹ ruft. Das war das Ende der letzten Dallas -Staffel. Ich glaube, Gabriel wollte mir dadurch begreiflich machen, warum er sich getötet hat. Er hat mir erzählt, dass er kurz vorher noch mit euch telefoniert habe und dabei den Eindruck gewonnen hat, ihr wärt ohne ihn glücklicher. Ich glaube, das war der wahre Grund für seinen Selbstmord. Es ging nicht so sehr darum, was er getan hat, es war auch nicht hauptsächlich die Angst vor den Geldeintreibern. Das Schlimmste für ihn war, dass er euch, seine Familie, verloren hat.«
    Als er Julia wieder ansah, hatte sie Tränen in den Augen. Sie umklammerte Marcs Arm, schwieg aber. Wahrscheinlich gab es dazu auch nichts mehr zu sagen, dachte Marc.
    »Warum hast du eigentlich Lisa und Hannah Laetitia nicht mitgenommen?«, wechselte Marc das Thema.
    Julia wischte sich die Tränen weg. »Ich habe mir das lange überlegt«, sagte sie. »Dann dachte ich, es wäre vielleicht besser, ihnen die Beerdigung ihres Vaters zu ersparen und sie bei Sandro in Stuttgart zu lassen. Es war eine reine Bauchentscheidung, Marc. Eine bessere Begründung kann ich dir nicht liefern.«
    Sie gingen eine Weile schweigend

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