Schwanengrab
sonderlich groß.
Wie befürchtet, war der Friedhof fast leer. Nur hinten, neben dem steinernen Engel, stand jemand in einem dunklen Mantel. Mein Herz begann wie wild zu pochen. Hatte ich doch Glück? Ich eilte los.
»Neela?«, rief ich aufgeregt. Die Gestalt in dem dunklen Regenmantel drehte sich um. Es war nicht Neela, nur eine sehr schlanke, hochgewachsene Frau. Irgendwie erinnerte sie mich an Caro und ich verzog das Gesicht.
»Entschuldigung!«, stammelte ich und lief an ihr vorbei. Hier war weit und breit keine Neela.
Also war ich ganz umsonst hergekommen. Blöde Idee von mir.
Der Regen war noch stärker geworden und meine dünne Jacke konnte ihm schon längst nicht mehr standhalten. Ich spürte die Kälte und die Nässe auf meinerHaut und schauderte. Eigentlich wollte ich nichts wie nach Hause, unter die warme Dusche und mich anschließend in mein Zimmer verkrümeln. Vollkommen durchgefroren ging ich Richtung Ausgang.
Der nächste Bus kam erst in einer Dreiviertelstunde. Es war noch genug Zeit, um eine heiße Schokolade zu trinken, die Mike so gepriesen hatte. In dem Café auf der gegenüberliegenden Straßenseite brannte Licht. Aber ich hatte nicht mehr genug Geld dabei. Es reichte gerade noch für die Rückfahrt. Dann kam mir eine Idee. Mit schnellen Schritten eilte ich zu dem kleinen Blumenladen, direkt neben dem schmiedeeisernen Friedhofsportal.
Als ich eintrat, ertönte ein heller Glockenton. Feuchtkalte Luft und der Geruch von frisch geschnittenen Blumen strömte mir entgegen.
»Jaahaa!«, rief von hinten eine Stimme, dann folgte eine ältere, rundliche Dame in einer dunkelgrünen Schürze. Sie wischte sich ihre Finger daran ab.
»Was darf ’s denn sein?«
»Eigentlich brauche ich gar keine Blumen«, sagte ich schnell. Das Lächeln auf den Lippen der Frau erstarb.
»So, ja dann. Falls du eine Toilette suchst, die nächste öffentliche ist hinter der Friedhofsverwaltung. Oder du gehst in das Café auf der anderen Seite.«
»Wie? Äh, nein ... ich wollte Sie nur etwas fragen.«
»So! Na dann, was willst du denn wissen?« Die Frau reckte ihr Kinn energisch nach vorne.
»Diesen Mittwoch war hier auf dem Friedhof ein Mädchen.Sie nennt sich Neela und ist sehr auffällig gekleidet. Mit einem langen Samtkleid, fast wie im Mittelalter.«
»Mhm!« Die Frau nahm einen Besen, um die Blätter zusammenzukehren, die auf dem Boden lagen.
»Kennen Sie sie?«, fragte ich erwartungsvoll.
»Hm!«
War das ein Ja oder ein Nein?
»Ja, ja, die ist öfter mal da. Keine Ahnung, was die hier so treibt. Ist das Mädel vom Doktor.«
»Vom Doktor? Wissen Sie seinen Namen?«
»Hmh. Nee, fällt mir gerade nicht ein. Der, der in Trier seine Praxis hat.« Sie deutete mit dem Kinn in Richtung Bushaltestelle.
In Trier gab es wahrscheinlich Hunderte Ärzte. Wie sollte mir das weiterhelfen? Ich bedankte mich trotzdem. Gerade wollte ich zur Tür hinaus, da fiel mir noch etwas ein.
»Eine Frage habe ich noch.«
»Hm!«, machte die Frau wieder.
»Können Sie sich daran erinnern, wer letzten Mittwoch eine einzelne rote Rose bei Ihnen gekauft hat?«
Die Frau sah mich an, als hätte ich sie nach der Telefonnummer von Lady Gaga gefragt.
»Ach herrje, Mädel. Du stellst Fragen!« Amüsiert schüttelte sie den Kopf.
»Vielleicht jemand, der öfter hierherkommt, um eine Rose zu kaufen?«, versuchte ich zu helfen.
»Ach herrje!«, sagte sie noch einmal. »Da gibt es viele Stammkunden, die so etwas machen. Schließlich ist dierote Rose das Zeichen der Liebe. Eine alte Frau kommt regelmäßig und kauft eine für ihren verstorbenen Mann. Und eine junge Dame ... manchmal ein gut aussehender, sportlicher Herr. Waren auch schon mal ein paar Jungs da und auch Mädels. Die haben die Blumen aber wahrscheinlich nicht für den Friedhof gekauft ...«, lachte sie und zwinkerte mir zu.
Das brachte mich nun wirklich nicht weiter. Ich stöhnte innerlich, verabschiedete mich und ging dann zur Haltestelle. Nach einer halben Ewigkeit kam endlich der Bus.
Als ich die Regentropfen auf den großen Scheiben beobachtete, die der Wind nach hinten drückte, fiel es mir ein. Jetzt wusste ich, wie ich Neela finden konnte!
Kapitel 17
Die restliche Fahrt über starrte ich jede Minute auf die Uhr. Nach einer halben Stunde, die mir wie ein halber Tag vorkam, hielt der Bus endlich an. Ich stieg auf mein Fahrrad und raste nach Hause. Den Regen, der mir ins Gesicht peitschte und meine Jeans durchtränkte, spürte ich kaum. Ich musste an meinen Laptop,
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