Schwanengrab
Knattern, wie von einem Moped. Die Straße war menschenleer. Was, wenn Neela tatsächlich recht hatte und Veronikas Tod kein Unfall war? Wieder blickte ich mich um, der Scheinwerfer kam näher.
Wenn du wirklich eine von den beiden bist, dann bist du ernsthaft in Gefahr!
Meine Finger krallten sich unwillkürlich fester um die Lenkerstange. Mir wurde auf einen Schlag kälter, obwohlich nun noch schneller fuhr. Die Briefe, die Gestalt bei den Abfalltonnen ... Hau wieder ab, bevor es zu spät ist. Es war zwar nicht mein Weg, aber ich bog trotzdem nach links, das Motorengeräusch folgte. Ganz deutlich hörte ich es näher kommen. Mein Puls raste. Ich spürte mein Herz gegen meine Rippen schlagen, trat noch fester in die Pedale und schwenkte scharf rechts in eine Seitenstraße, dort sofort in eine Einfahrt. Im gleißenden Licht eines Bewegungsmelders duckte ich mich hinter ein Mäuerchen und spähte vorsichtig über die Hecke. Das Moped knatterte an der Straße vorbei, weiter geradeaus und verschwand. Himmel noch mal! War ich jetzt total durchgeknallt? Ich machte mich ja selbst vollkommen verrückt mit meinen Wahnvorstellungen. Ein Verfolger! Pah! Ich sah doch schon überall Gespenster. Nie wieder würde ich mir irgendwelche Schauergeschichten von Neela anhören. Nie wieder!
Als ich endlich in unsere Straße einbog, war ich heilfroh, obwohl Dads Auto nicht vorm Haus stand und die Fenster unserer Wohnung dunkel waren. Er war also noch gar nicht zu Hause und hatte mich auch noch nicht vermisst.
Mir war es ganz recht so. Nach dem ganzen Gequatsche schwirrte mir ordentlich der Kopf und ich hatte das dringende Bedürfnis, mir etwas Gutes zu tun. Statt unter die Dusche zu gehen, ließ ich mir Badewasser ein, mit viel Schaum, zündete ein paar Kerzen an und kochte mir heiße Milch mit einem ordentlichen Schuss Honig. Ich band mein Haar nach oben und spürte kurz darauf,wie die Wärme des Wassers durch meine Poren drang. Mit einem wohligen Seufzer schloss ich die Augen.
Das Geräusch der Haustür, die laut ins Schloss fiel, weckte mich. Das Badewasser war kalt.
»Sam?«, hörte ich die Stimme meines Vaters. »Hallo?«
»Bin in der Wanne!«
»Ah, gut! Ich habe einen Bärenhunger. Magst du auch etwas?«
Oh ja. Ich hatte den halben Tag nichts gegessen. Mein Magen knurrte. Schnell trocknete ich mich ab, schlüpfte in frische Wohlfühlklamotten und ging dann in die Küche.
Auf dem Tisch lagen zwei Teller und ein paar Scheiben Brot. Mein Dad stand am Herd. Neben ihm zwei offene Dosen. Er rührte in einem Topf. Für Fertigsuppe roch es eigentlich ganz lecker.
»Morgen werde ich nicht arbeiten!«, sagte er, als er mir Suppe eingoss. »Hast du Lust, einen Ausflug zu machen? Wir kennen die Gegend hier noch gar nicht richtig.«
Morgen? Ausgerechnet? ... Es tat mir leid, aber ich freute mich doch schon so auf den Stadttrip mit Christoph. »Ich kann morgen leider nicht«, sagte ich schnell.
»Ach so?« Er blickte mich fragend an.
»Hab eine Verabredung!«, meinte ich und verzog das Gesicht. Die Suppe schmeckte nicht einmal halb so lecker, wie sie roch.
»Mit wem denn?«
»Mit Christoph.«
Mein Dad hob die Augenbrauen. »Dein Freund?« Seine Frage sollte wohl beiläufig klingen, denn er blickte dabei auf seinen Teller und löffelte seine Suppe weiter. Aber ich wusste genau, dass er auf eine Antwort brannte.
Ich wurde rot. Gut, dass er es nicht sah. »Nein! Christoph gibt mir Nachhilfe in Mathe.«
»Seit wann brauchst du Nachhilfe in Mathe?«
Seit Mam tot ist und sie mir nicht mehr helfen kann. Seit wir aus Berkeley weg sind und du mich in diese schreckliche Schule gesteckt hast, hätte ich am liebsten geantwortet. Aber ich sprach es nicht aus. »Die nehmen einen ganz anderen Stoff durch als in Berkeley. Mein Lehrer hat mir vorgeschlagen, dass ich Nachhilfe nehmen soll. Es hat schon was gebracht. Heute kam ich ganz gut klar.«
»Schön!« Er blickte mich nachdenklich an. »Das ist schön, Sam! Ich weiß, dass ich in letzter Zeit kaum für dich da war. Das tut mir auch leid. Aber es geht im Moment nicht anders.« Er legte seinen Löffel zur Seite. Sein Teller war noch fast voll, offenbar schmeckte ihm die Suppe genauso wenig wie mir. »Aber es wird besser werden, das verspreche ich dir. Okay?«
»Okay«, sagte ich leise.
Er stand auf und stellte die Teller in die Spülmaschine. Dann musterte er mich.
»Ich muss noch etwas arbeiten. Aber wenn du Lust hast, könnten wir den Ausflug ja am Sonntag machen.«
»Ja, klar!« Ich
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