Schwanengrab
gehängt und einen in mein Zimmerfenster gesteckt.«
»Bei dir zu Hause? Weiß dein Vater davon?«
»Nein! Das ist doch nur Blödsinn. Irgendjemand, der mich ärgern will.« Jedenfalls versuchte ich mir das einzureden. In Wirklichkeit beunruhigten mich diese Briefe mehr, als ich zugeben wollte. Sie machten mir tatsächlich Angst und Neelas düstere Traumdeutungen gaben noch den Rest dazu.
Diesmal fasste Christoph meinen Arm ganz sachte. Er blickte mich eindringlich an.
»Du musst diese Briefe Herrn Kurz zeigen. Versprich mir das. Es ist wirklich wichtig. Bitte, Sam!« Warum war er denn so besorgt?
»Ja, ich hab mir das auch schon überlegt. Aber nachdem ich jetzt keinen Zettel mehr bekommen habe, denke ich, dass es wirklich nur ein übler Scherz war.«
»Das hoffe ich!«, meinte er. »Wenn irgendwas ist, dann ruf mich an. Mein Handy ist ab jetzt immer auf Empfang.« Er klang ganz sanft. Es tat mir gut, dass sich jemand um mich sorgte. Ich spürte seine Finger langsam zu meinen Händen hinuntergleiten. Seine Augen waren so blau! So blau wie der wolkenlose Himmel an diesem schönen Tag. War es Zufall oder strich sein Daumen gerade absichtlich über meinen Handrücken ...?
»Hey! Hallo, SAAAMMAANTHA!«, rief eine Stimme quer über den Marktplatz. Ich zuckte zusammen, kam zurück aus der himmelblauen Traumwelt. Erst jetzt bemerkte ich die vielen Menschen, die sich einen Weg um uns herumbahnten, und mittendrin Neela. Sie lief direkt auf uns zu. Diesmal trug sie ein dunkelgrünes Samtkleid. Ihr schwarzes Haar hatte sie zu Zöpfen geflochten. Christoph verzog das Gesicht.
»Hallo!«, begrüßte sie uns überschwänglich. »Na, das nenne ich Zufall! Hey, Chris, lange nicht gesehen. Dir scheint es ja blendend zu gehen.« Sie blickte grinsend auf seine Hände, die meine noch immer hielten. Schnell zog ich sie zurück.
»Hallo, Neela!«, sagte ich ein wenig verlegen. »Was machst du denn hier?«
»Was man in der Stadt eben so macht. Shoppen! Mit dem winzigen Unterschied, dass ich dabei nicht so viel Spaß habe wie ihr.«
Christoph rang sich ein Lächeln ab. Sie grinste breit.
»Ganz schön warm heute. Lust auf ein Eis?«, fragte sie und blickte abwechselnd zu mir und zu Christoph. »Oder hattet ihr schon genug Süßes?«
»Neela!«, seufzte Christoph vorwurfsvoll.
»Ich hab Lust auf Eis!«, gab ich zu und wir schlenderten Richtung Sorini.
Die Terrasse war voll. Wir mussten einige Minuten warten, bis ein Tisch frei wurde. Neela bestellte sich einen Früchtebecher, während Christoph und ich Milchshakes wählten. Diesmal erschrak die Bedienung zum Glücknicht, als sie mich sah, wofür ich ihr unendlich dankbar war.
Die Shakes schmeckten himmlisch. Mindestens genauso gut wie in Berkeley. Mir fiel auf, dass ich gar nicht mehr so oft an Kalifornien dachte.
»Bist du noch gut nach Hause gekommen gestern?«, fragte Neela und schob sich ein großes Stück Ananas in den Mund.
»Ja!« Von meiner Angst vor einem möglichen Verfolger erzählte ich besser nichts. »Bin gleich in die Badewanne und mein Dad hat mich mit Fertigsuppe bekocht. Schmeckte einfach grauenhaft.«
»Oh! Da muss Chris dich mal zum Essen einladen. Der kann sehr gut Spaghetti all’arrabbiata kochen. Megascharf, aber superlecker! Stimmt’s, Chris?« Sie stieß ihm ihren Ellbogen in die Seite, woraufhin er sich beinahe an seinem Shake verschluckt hätte.
Ich musste lachen. »Vielleicht kannst du es mir beibringen. Kochen gehört nicht unbedingt zu meinen Stärken und mein Dad kann es auch nicht. Das hat immer meine Mam ...« Ich brach mitten im Satz ab. Nein! Meine gute Laune wollte ich mir jetzt nicht verderben. Es war das erste Mal seit so langer Zeit, dass ich mit Freunden in einem Café saß und es einfach genoss.
»Also ich bin dabei, wenn ihr euch an die Spaghetti macht«, sagte Neela lächelnd. »Vorausgesetzt, ihr wollt nicht lieber ungestört sein.« Sie zwinkerte Christoph zu.
»Du hast dich kein bisschen verändert«, stöhnte er, lächelte aber dabei.
Sie schienen sich wirklich gut zu kennen.
»Ach herrje!«, rief Neela und nickte mit dem Kopf Richtung andere Seite des Marktplatzes. »Ist das dort hinten nicht Caro?«
Sie war es tatsächlich. Offenbar hatte sie es eilig.
»Ist sie immer noch die Oberzicke der Schule?«, fragte Neela.
Ich nickte. »Die kann mich nicht ausstehen!«
»Willkommen im Club! Gibt wenig Auserwählte, die Caros Gnade finden. Baggert sie eigentlich noch immer den Simon an?«
»Wie?« Hatte ich mich gerade
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