Schwanengrab
NEIN!«, schrie Caro auf der Bühne. Ich hörte ein Poltern auf den Dielen.
»Carolin, bitte! Das ist kein Grund, mit Gegenständenum sich zu werfen!«, protestierte die Krähe mit spitzer Stimme.
»Die ist doch zu blöd!«, tobte Caro.
»Vielleicht solltest du es mit ein wenig mehr Gefühl versuchen, Geli«, schlug die Krähe einlenkend vor.
»Aber ich ...«, hörte ich Geli stammeln.
»David!« Frau Krahes Stöckelschuhe klapperten über den Holzboden bei dem Versuch, wieder ein wenig Harmonie in die Truppe zu bringen. »Nimm Geli doch mal in den Arm und wir beginnen die Szene erneut. Ab der Stelle, an der der Prinz Odette seine Liebe gesteht.«
Davids Seufzer konnte ich bis zu mir hören. Der Arme! In Gedanken ging ich den Dialog durch, der nun folgen würde und den ich in der Zwischenzeit schon auswendig konnte. Er war auch nicht gerade schwer.
Leise schlich ich mich zum Vorhang und spähte hindurch. David hielt Geli im Arm, als hätte sie die Windpocken. Er starrte an ihr vorbei auf den Boden. »Odette! Meine Odette!«, wiederholte Prinz David mit monotoner Stimme. »Nun brauchst du nicht mehr um dein Leben zu bangen. Ich bin hier, bei dir, immer und immerfort, und niemals werde ich dich mehr verlassen.« Geli schaute ihm mit zutiefst schmachtendem Blick in die Augen. Ich biss in den Stiel meines Pinsels, um mir das Lachen zu verkneifen. Das war ja die reinste Ulknummer. Weder ihr noch ihm nahm man ab, dass sie sich unsterblich ineinander verliebt hatten. Caros Augen blitzten wütend.
»Oh, du kannst es dennoch nicht versprechen, meinPrinz!«, hauchte Geli und drehte ihren Kopf so abrupt von David weg, als hätte er ihr eine gescheuert. »Bald schon verwandeln wir uns wieder in Schwäne, doch du kannst uns nicht folgen, denn du bleibst der, der du bist.« Sie verdrehte gequält die Augen.
»AUS!«, schrie Caro wütend und knallte ihr Textbuch hin. Ihr Mund war zu einem schmalen Schlitz zusammengepresst. Wütend funkelte sie Geli an. »Das kauft euch doch kein Mensch ab. Ihr liebt euch! Vielleicht könnt ihr ja mal versuchen, das rüberzubringen?«, schrie sie. Ihre Stimme klang rau. Zum ersten Mal musste ich Caro recht geben. Es war wirklich kaum zu ertragen. Sollten David und Geli diese Szene auch in der Premiere so spielen, würden sie Schwanensee damit kurzerhand in eine Komödie verwandeln.
Frau Krahe machte gerade einen Schritt auf Caro zu, da ließ David Geli so schnell los, dass sie ins Straucheln kam und auf den harten Boden knallte. Ich biss mir auf die Lippen und konnte es gerade noch verhindern, vor Lachen loszubrüllen.
»Mir reicht es jetzt!«, knurrte David sauer. Er riss sich den samtenen Prinzenhut von seinen blonden Locken und warf ihn wütend in meine Richtung. Ich duckte mich hinter den Vorhang, um nicht gesehen zu werden. »Ich hab keinen Bock mehr auf diesen Mist!« Seine Jacke landete direkt neben dem Hut. »Ich steig aus!«
»Was?«, schrie Caro aufgebracht. »Spinnst du? Das wirst du sicher nicht! Du musst dich einfach mal ein bisschen mehr anstrengen.« Sie hob ihre Arme und dieÄrmel ihres schwarzen Gewandes bauschten sich auf wie ein dunkles Flügelpaar. Für einen kurzen Moment befürchtete ich, sie würde sich auf David stürzen.
Geli saß noch immer am Boden und schniefte. Die anderen Mädchen, die die Schwäne spielten, gaben keinen Ton von sich.
»Und du, hör auf zu heulen. Du wolltest doch immer den weißen Schwan spielen. Jetzt leg dich dafür mal ins Zeug!«, schrie Caro Geli an.
»Das reicht jetzt, Carolin!«, krächzte die Krähe hysterisch. »Ich denke, für heute ist es genug! Wir machen am Mittwoch mit den Proben weiter. Versucht, euch in eure Rollen hineinzuversetzen, die Emotionen eurer Figuren wirklich zu spüren.«
David hatte die Tür bereits erreicht, drückte sie mit Schwung auf, sodass sie krachend gegen die Wand knallte, und verschwand. Auch Caro verließ vor Wut schnaubend den Theatersaal, gefolgt von den anderen Mädchen. Die Krähe blieb mit der geknickten Geli allein zurück.
Kapitel 31
Ich widmete mich wieder meinem Bühnenbild für die Szenen mit dem weißen Schwan. Es war fast fertig. Nur noch an einigen Stellen ein bisschen Farbe nachbessern und die Konturen nachziehen ... Perfekt. Ich betrachtete es nachdenklich, dann kam mir eine geniale Idee. Vielleicht war es möglich, das Bild am Ende der Szene mit einem eigenen Scheinwerfer zu beleuchten und ihn langsam herunterzudimmen. Dann würde es wirklich aussehen, als ginge die Sonne
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