Schwanengrab
mir etwas angesehen.«
»Auf dem Friedhof?«, fragte ich erstaunt.
»Ja. Die rote Rose, von der du erzählt hast ... auf Veronikas Grabstein, stell dir vor ...« Dann folgte ein lang gezogenes Piiieeep und mein Handy schaltete sich aus.
Kapitel 32
Oh Mann, dieses Handy! Ausgerechnet jetzt!
Was wollte mir Neela von ihrem Besuch auf dem Friedhof erzählen? Ich suchte mein Zimmer nach dem Ladekabel ab. Aber ich fand es nicht. Und jetzt? Eine Telefonzelle suchen? Die gab’s doch kaum noch. Vielleicht zu Herrn Hermann und ihn fragen, ob ich sein Telefon benutzen durfte? Ja, das war eine gute Idee. Ich suchte mir noch schnell Neelas Nummer aus dem Internet heraus, schnappte mir den Wohnungsschlüssel, dann klingelte ich nebenan. Hundegebell hinter der Tür.
Es dauerte lange, bis ich das Schlurfen von Hausschuhen hörte.
»Winnie, wirst du wohl still sein!«, raunte eine tiefe Männerstimme. »Sei ruhig! Sitz, Winnie, Platz!« Winnie kläffte weiter.
Mein Nachbar drehte den Schlüssel von innen. Krack, krack, krack machte es jedes Mal. Ein Riegel oder so was wurde zur Seite geschoben. Meine Güte, der hatte sich aber gut verbarrikadiert. Winnies Gebell wurde noch lauter. Die Tür öffnete sich eine Handbreit, das faltige Gesicht von Herrn Hermann und Winnies spitze Dackelschnauze kamen zum Vorschein.
»Ja?«, fragte er verwundert, was in Winnies lautstarker Begrüßung fast unterging.
»Ich bin Samantha Marquard von nebenan«, stellte ich mich vor. »Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber unser Telefon funktioniert nicht und ich muss dringend einen Anruf machen. Dürfte ich wohl Ihren Apparat benutzen?«
»Ist es ein Notfall?«, fragte Herr Hermann und streckte seine Nase ein Stück weiter durch den Türspalt. »Brennt es womöglich?« Meine verkohlte Pizza konnte man bis ins Treppenhaus riechen.
»Nein, nein«, beruhigte ich ihn. »Nein, nein! Es ist alles in Ordnung. Darf ich?«
»Wenn’s denn sein muss«, sagte er, zog die Tür gerade so weit auf, dass ich hindurchschlüpfen konnte, und sperrte anschließend wieder alle Schlösser und Riegel zu.
»Aber nur eine Minute.« Er schlurfte mir voraus den Flur entlang zu einem kleinen Telefontisch, auf dem ein uralter, hellgrüner Apparat mit Wählscheibe stand, während ich Winnie hinter mir herschleifte, der knurrend an meinem Hosenbein zerrte.
»Danke!«, sagte ich und versuchte, den Dackel abzuschütteln, während ich Neelas Nummer wählte. Zum Glück ging sie sofort ran.
»Was war denn los?«, wollte sie wissen.
»Mein Akku spinnt mal wieder.« Ich musste schreien, denn Winnie hatte meine Hose endlich losgelassen, dafür aber wieder zu kläffen begonnen. Auf mein linkes Ohr presste ich den Telefonhörer, mein rechtes Ohr hielt ich so gut es ging zu.
»Ich kann nicht lange reden. Bin beim Nachbarn, um sein Telefon zu benutzen. Was hast du auf dem Friedhof gesehen?«, fiel ich gleich mit der Tür ins Haus.
»Ein anderes Grab. Es ist nicht weit von Veronikas Grab entfernt. Direkt neben dem großen steinernen Engel. Mir ist es beim letzten Mal schon aufgefallen, weil ich dort auf dem Stein auch eine rote Rose entdeckt habe. Darin liegt ein gewisser Sebastian Saager.«
»Und wer ist das?«
»Das konnte ich leider noch nicht herausfinden. Die Friedhofsverwaltung hatte schon zu, aber ich bin mir sicher, dass dieses Grab in irgendeiner Verbindung zu Veronika steht. Der Grabstein ist verwittert und das Sterbedatum liegt bereits elf Jahre zurück. Aber dieser Sebastian Saager wäre heute genauso alt wie Veronika«, erklärte sie hastig. »Kannst du morgen zum Friedhof kommen? Das Büro schließt um vier Uhr. Wir müssten also vorher dort sein.«
Ich überlegte. Eigentlich hatte ich morgen bis zwei Uhr Schule und anschließend gleich den Termin beim Kieferorthopäden. Den wollte ich auf gar keinen Fall verschieben. Blieben nur noch die letzten beiden Schulstunden. Da hatte ich Frau Wagner. Sie war doch der festen Überzeugung gewesen, ich würde eine Grippe ausbrüten. Also, warum tat ich ihr nicht den Gefallen und meldete mich für den Englischunterricht krank? Natürlich war das nicht ganz in Ordnung, keine Frage. Aber in diesem Fach hatte ich ohnehin keine Probleme und was sollte ich sonst machen?
»Also gut!«, sagte ich. »Ich denke, ich schaffe es, bis eins am Friedhof zu sein.«
»Super! Dann schwänze ich morgen Sport. Darauf habe ich eh keinen Bock«, hörte ich Neela sagen und wollte schon auflegen. »Ach, Samantha«, rief sie. Ich drückte den
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