Schwanengrab
es jemandem erzählt hat. Sie hatte es mir zumindest versichert. Ich bin Veronika noch ein drittes Mal nachgefahren, am nächsten Tag. Es ging mir gar nicht mehr um den seltsamen Brief, sondern um sie und Herrn Simon. Ich wollte einfach wissen, ob sie was mit ihm hatte. Ich war ...« Er stockte und schüttelte dann den Kopf.
»Ich weiß!«, kam ich ihm zuvor. »Du warst damals ganz schön verknallt in Veronika, stimmt‘s?« Ich sprach es lieber selbst aus, als es von ihm zu hören.
Er nickte und blickte mich wieder an. Ganz lange. Dann sprach er leise weiter: »Veronika war der Schulstar schlechthin. Alle fanden sie super. Sie sah top aus und jeder mochte sie. Natürlich fand ich sie auch toll. Bis Schwanensee ! Als wir gemeinsam an der Inszenierung gearbeitet haben, habe ich Veronika jeden Tag ein bisschenbesser kennengelernt. Sie war so ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte. Ganz anders als du! Es ging ihr immer nur um ihren eigenen Vorteil. Alles andere war ihr egal. Sie war oberflächlich. Eigentlich hätte ich mich über diesen seltsamen Brief gar nicht wundern sollen. So, wie sie sich verhielt, musste es irgendwann irgendwen nerven. Ich war zu dem Zeitpunkt schon gar nicht mehr so verknallt in sie wie am Anfang. Und nachdem sie bei Herrn Simon war, war es schlagartig vorbei. Irgendwann habe ich auch diesen idiotischen Wisch vergessen. Bis du mir von deinen Briefen erzählt hast. Da bin ich echt erschrocken.«
Ich nickte. Nur zu gut erinnerte ich mich an Christophs Reaktion, als ich es ihm gesagt hatte. Er war sehr besorgt gewesen, fast schon panisch.
»Als ich von den Briefen an dich erfahren habe, kam alles wieder hoch. Und mittlerweile frage ich mich, ob Veronikas Tod wirklich ein Unfall war.« Er nahm auch meine andere Hand. »Ich mache mir Sorgen, Sam! Ich will nicht, dass dir was passiert!«
Oh! Ich holte erst einmal tief Luft. »Christoph! Das ist echt lieb von dir und ... oh Mann ... du bist extra in der Nacht zu mir gekommen, um zu sehen, ob bei mir alles in Ordnung ist? Wow!« Ich war wirklich gerührt. Er war unglaublich süß. »Verwandelst du dich nachts immer in Superman, um die Welt zu retten?«, fragte ich lächelnd.
»Nur nachts?«
Ich musste lachen. Er grinste.
Plötzlich wurde mir ganz heiß. Bestimmt wurde ich schon wieder krebsrot im Gesicht. Hatte er etwa das Gespräch zwischen mir und Sarah belauscht? Hatte er vielleicht sogar mitbekommen, was »Tante Sarah« schon aufgefallen war, bevor ich es wusste?
»Hast du eigentlich alles mitgehört, was Sarah und ich geredet haben?«, fragte ich und war sehr darauf bedacht, so nebensächlich wie möglich zu klingen. Ansehen konnte ich ihn dabei allerdings nicht.
»Na ja ...«, sagte er. Ich riss den Kopf hoch und starrte ihn an. Er lächelte. »Leider habt ihr für meine Englischkenntnisse viel zu schnell gesprochen. Bis auf ein paar Wortfetzen habe ich nichts mitbekommen, keine Sorge! Nur meinen Namen«, gab er zu und musterte mich interessiert.
Ich stieß erleichtert die Luft aus. »Ich habe Sarah erzählt, dass du mir Nachhilfe gibst«, erklärte ich ausweichend, was immerhin nicht gelogen war.
»Vielleicht kannst du mir auch Nachhilfe geben, in Englisch. So gut wie du würde ich es auch gerne können«, schlug er vor.
»Mal sehen«, sagte ich und spielte ein bisschen beleidigt.
»Ich wusste im Übrigen gar nicht, dass du so auf Volksmusik stehst.« Er grinste breit.
»Was? Ich?« Ach ja, Mist! Zur Strafe boxte ich ihn, so fest ich konnte, gegen den Arm. »Das hast du davon! Von wegen Volksmusik. Die war für meine Granny bestimmt, als Weihnachtsgag«, lachte ich.
Dann wurde er wieder ernst. »Hast du die Briefe dabei? Du wolltest sie doch Herrn Kurz zeigen.«
»Ich weiß. Aber ich war heute Morgen zu durcheinander. Ich habe so ziemlich alles vergessen.«
Sein Daumen strich ganz sachte über meinen Handrücken. Es tat unendlich gut.
»Ich will einfach nicht, dass dir etwas passiert.«
»Mach dir wegen dieser Zettel keine Gedanken. Auch wenn Veronika einen ähnlichen Brief bekommen hat ... Es war ein allergischer Schock. Und dann der Sturz in die Schlucht ... Natürlich war das ein Unfall! Und es hat sicher nichts damit zu tun, dass irgendein Idiot mich aus der Schule ekeln will.« Jetzt, bei Tageslicht, kamen mir meine Ängste plötzlich vollkommen absurd vor. Hier mit Christoph fühlte ich mich sicher. Es gab doch für alles eine logische Erklärung. Sogar für Christophs nächtlichen Besuch. Und ohne Zweifel auch
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