Schwanengrab

informieren.
    »Soeben habe ich mit der Notaufnahme des Krankenhauses telefoniert. Geli geht es den Umständen entsprechend gut. Sie wurde gerade untersucht und geröntgt. Zwei Rippen sind gebrochen. Gott sei Dank wurden dadurch keine Organe verletzt. Nur gut, dass die Leiter sie nicht direkt am Kopf erwischt hat. Das wäre fatal gewesen. Trotzdem hat sie sich eine Platzwunde und eine Gehirnerschütterung zugezogen. Zwar nichts Lebensbedrohliches, aber sehr schmerzhaft, und natürlich muss das arme Ding erst einmal im Krankenhaus bleiben.«
    Einige stöhnten, andere tuschelten.
    »Und Schwanensee ?«, fragte Nessi. »Was wird denn jetzt mit unserer Aufführung? Nächste Woche ist Premiere! Sie kann doch jetzt keinen Schwan spielen.«
    »Ja, Schwanensee !«, seufzte die Krähe. »Wir werden die Aufführung wohl verschieben müssen.«
    »Ach Unsinn!«, rief Herr Simon und eilte zu ihr. »Nichts wird verschoben. Sie können doch nicht ernsthaft das Stück noch einmal platzen lassen.«
    Frau Krahe blickte Herrn Simon entgeistert an. »Aber unter diesen Umständen ...«
    »Eben genau deswegen!«, sagte Herr Simon bestimmt. »Sam kann die Rolle übernehmen.«
    Ich drehte mich erschrocken um, schüttelte heftig den Kopf, aber Herr Simon beachtete mich gar nicht. Er redete einfach weiter. »Die anderen Mädchen habenschon eine Rolle, Sam noch nicht. Das Kostüm wird ihr perfekt passen.«
    Ein Raunen ging durch die Klasse. Ich traute meinen Ohren kaum, aber zu einem Protest kam ich gar nicht.
    »Aber ... das ist UNMÖGLICH!«, platzte Caro aufgebracht heraus. »Der weiße Schwan ist eine der wichtigsten Rollen. Sam hat noch gar nicht geprobt. Wie sollen wir in der kurzen Zeit ...«
    »Sam hat an ihrer Schule in Amerika bereits in zwei Theaterstücken mitgespielt, wie ich ihrem Zeugnis entnehmen konnte. Darunter auch eine Hauptrolle. Sie hat beste Beurteilungen dafür erhalten und ist bestimmt in der Lage, die Rolle zu meistern«, widersprach Herr Simon heftig.
    Ich schüttelte wieder den Kopf. Natürlich spielte ich gern Theater – aber nach diesen Ereignissen ...
    »So schnell wird sie die Rolle nicht können.« Caro war so wütend, dass sie sich sichtlich beherrschen musste, unseren Klassenlehrer nicht anzuschreien.
    »Sam hat sich für das Bühnenbild intensiv mit dem Stück beschäftigt. Und so umfangreich sind die Textpassagen nicht. Oder traust du dir das etwa nicht zu?«, fragte er mich und überrumpelte mich damit total. Ich schüttelte den Kopf, was Herr Simon als Zusage wertete.
    »Na bitte!«
    Nein, so war das doch nicht gemeint.
    »Ich muss noch das Bühnenbild für den schwarzen Schwan ...«
    »Das ist kein Problem. Dafür werden wir auch noch eine Lösung finden. Zur Not schafft Frau Krahe das auch allein.«
    Die Krähe hüstelte vernehmlich, er ignorierte selbst das.
    »Nessi könnte doch ...«, versuchte es Caro erneut.
    »Nessi hat schon eine andere Rolle. Nein, Sam wird den Part übernehmen. Es ist gar nicht so schlecht, wenn ihr zusammen auf der Bühne steht. Dann gewöhnt ihr euch vielleicht endlich aneinander.«
    Das war also der Hintergedanke. Der Simon wollte, dass Caro und ich uns anfreundeten. Hinter welchem Mond lebte der denn?
    Caro stöhnte. Ich gab auf und schwieg. Hier, vor der ganzen Klasse, hatte es wohl keinen Sinn, mit meinem Lehrer über die Besetzung der Rolle zu diskutieren. Besser, ich würde später mit ihm unter vier Augen sprechen.
    Herr Simon lächelte schief und betrachtete Caro eindringlich. »Gib ihr doch eine Chance, Caro. Du spielst den schwarzen Schwan perfekt und mit deiner Hilfe wird Sam ihre Rolle ebenfalls meistern.«
    Oh nein! Auch das noch.
    In Caros Gesichtsausdruck veränderte sich etwas. Sie blickte ihn lange an.
    »Also gut!« Sie klang ungewöhnlich sanft. War das Caro? »Wenn Sie meinen. Aber geben Sie mir bitte nicht die Schuld, wenn Schwanensee floppt, in Ordnung?«
    Herr Simon legte seine Hand beschwichtigend aufihre Schulter. »Danke, Caro. Ich wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann.«
    Sie lächelte ihn an.
    »Also dann – das wäre geklärt«, sagte Herr Simon glücklich. »Und damit jeder bis zur Probe morgen seine Rolle kann, gibt es heute keine Hausaufgaben!« Die Klasse johlte, vor allem die, die mit Schwanensee gar nichts zu tun hatten. »Außerdem«, fuhr er weiter fort, »werde ich mit Sam in den nächsten beiden Schulstunden eine extra Theaterprobe einlegen. Ihr habt Englisch und Sam wird da sicherlich nichts verpassen. Schließlich ist