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Schwanengrab

Schwanengrab

Titel: Schwanengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schwarz
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kleinen Tisch neben meinem Bett stellte.
    »Mike!«, flüsterte ich und Tränen schossen mir in die Augen. »Er war ihr Bruder?«
    Der Kommissar nickte.
    »Und er ist tot«, fügte ich leise hinzu. Ich erinnerte mich an die Frau im dunklen Regenmantel, die damalsauf dem Friedhof neben dem steinernen Engel gestanden und mich an Caro erinnert hatte. War das ihre Mutter gewesen? Mein Hals brannte. Caro tat mir plötzlich so leid. Wie sehr musste sie ihren Bruder vermisst haben. Sie hatte immer von Mike gesprochen, als würde er tatsächlich existieren. Die ganze Nacht hatte ich gedacht, dass Mike sich noch immer da draußen herumtrieb. Vielleicht sogar hinter mir her war. Stattdessen war er tot, und das schon seit elf Jahren.
    »Caro hat den Verlust ihres Bruders nie wirklich verkraftet. Obwohl sie sich bewusst kaum mehr an ihn erinnern kann. Sie wollte ihn am Leben erhalten. Ob für sich selbst oder auch für ihre Mutter, das wird das psychologische Gutachten ans Licht bringen. Heute Morgen hat mich ein Arzt angerufen und mich über Caros Zustand informiert. Sie hat eine gespaltene Persönlichkeit. Eine multiple Persönlichkeitsstörung, wie man das in Fachkreisen nennt. Caro hat sich nach dem Tod ihres Bruders in zwei Personen gespalten. In sie selbst und ihren Bruder Sebastian, den sie von da ab Mike nannte. Sebastian war tot, aber Mike durfte weiterleben. Und eigenständig handeln. Caro ist tatsächlich überzeugt davon, dass Mike ihr Anweisungen erteilt.«
    Christoph rückte ein Stück näher zu mir. Ja, dachte ich entsetzt. Caro hatte von Mike gesprochen, als hätte er diesen ganzen teuflischen Plan erfunden und ihr erklärt, wie sie ihn umsetzen musste. ER hatte ja auch den Stein nach dem Wespennest geworfen. Dann erinnerte ich mich an die unglaubliche Wucht, mit der mich Carozu Boden gestoßen hatte, und um wie viel stärker sie war als ich. Auch ihre seltsam veränderten Gesichtszüge, die raue Stimme, als wäre sie heiser. Konnte sich eine solche Persönlichkeitsspaltung auch auf diese Weise äußern?
    »Caros Eltern haben sich kurz nach dem Unfall voneinander getrennt, was für das kleine Mädchen damals ein zusätzlicher Schock und einen weiteren Verlust bedeutete. Ihre Mutter hat den Vater für Sebastians Tod verantwortlich gemacht. Schließlich war er es, der damals mit den beiden Kindern am Badesee war, als es passierte. Er war für einen kurzen Moment eingenickt. Als er wieder aufwachte, schrie Caro und Sebastian lag reglos im Wasser. Alle Versuche, ihn ins Leben zurückzuholen, blieben erfolglos.«
    »Und das alles hat Caro miterlebt?«, fragte ich matt.
    Der Kommissar nickte. »Sie kann sich bewusst sicher nicht mehr daran erinnern, aber die Bilder sind trotzdem in ihr, genauso wie die Gefühle, die sie durchlebt hat.«
    Ich war plötzlich unglaublich müde. Mein Kopf wurde schwer, als gehörte er nicht zu mir. Warum konnte es nicht sein wie im Märchen, wie bei Dornröschen? Ich könnte einschlafen und irgendwann, wenn alles vorbei war und die Welt wieder im Lot, würde mich mein Prinz wach küssen. Stattdessen sprach der Kommissar weiter, erzählte noch mehr schreckliche Details.
    »Caro hatte ein sehr starkes Bedürfnis nach Anerkennung. Die hat sie durch ihre schulischen Leistungen erhalten. Sowohl von den Lehrern als auch von den Mitschülernund, was das Wichtigste war, von ihrer Mutter. Wenn Caro eine gute Note nach Hause gebracht hat, bekam sie ein wenig mehr Aufmerksamkeit. Die restliche Zeit war ihre Mutter allerdings meist abweisend. Caro erinnerte sie zu sehr an den toten Sohn. Jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, die sie ihre Tochter ansah, wurde sie an den Verlust ihres anderen Kindes erinnert. Schließlich waren die beiden Zwillinge.«
    »Das muss die Hölle sein«, sagte Neela ernst.
    Wieder nickte der Kommissar. »Manchmal hat Caro vielleicht sogar den Versuch gestartet, aus dieser Hölle auszubrechen. Hat vielleicht einen stummen Hilferuf ausgesandt, den ihr Umfeld nur nicht verstanden hat.«
    Ich biss mir auf die Lippen. »Als Caro sich am Anfang als Mike ausgegeben hat, wollten wir uns treffen. Mike hat mich über das Internet in einen Nachbarort bestellt. Allerdings war die Adresse der Friedhof. Als ich ihn später gefragt habe, was das sollte, hat er mir nur geantwortet, dass er mir etwas zeigen wollte. Später dachte ich, er meinte Veronikas Grab, aber jetzt ... Vielleicht wollte mir Caro ja auch das Grab ihres Bruders zeigen. Oder Mike sein eigenes Grab.«
    »Wie gruselig!«,

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