Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
keinesfalls aus dem Besitz von Johanna Grauweiler stammen. Und wenn ihre Tochter Angelika tatsächlich schon vor dem Krieg ausgezogen war, gehörten sie auch ihr nicht. Zudem war Angelika in den fünfziger Jahren schon über dreißig gewesen und hatte bestimmt kein Interesse mehr an Jugendbüchern gehabt. Also musste irgendein anderes Mädchen diese gelesen haben.
Katrin sah zu, wie Manfred etwas notierte. »Es gibt eine vermisste Person, die bis heute nicht gefunden wurde, sonst würdest du nicht so geheimnisvoll tun. Habe ich recht?«
Manfred blickte auf. »Stimmt.«
»Wer ist es? Wie heißt sie? Wann ist sie verschwunden? Nun sag schon!« Katrin war mit einem Mal ganz aufgeregt, das Jagdfieber hatte sie gepackt.
»Laut meiner Quelle bei der Polizei gibt es einen einzigen ungeklärten Vermisstenfall nach 1945 hier in der Gegend von Blankenheim«, begann Manfred. »Doch dabei handelt es sich nicht um ein junges Mädchen, sondern um einen erwachsenen Mann. Zudem verschwand er viel später, nämlich im Jahr 1974.«
Katrin verzog enttäuscht das Gesicht. »Das hat wohl kaum etwas mit unserer Mumie zu tun.«
»Auf den ersten Blick nicht«, sagte Manfred geheimnisvoll.
»Ach? Und auf den zweiten Blick?« Katrin rutschte auf die Stuhlkante vor.
Der verschwundene Mann war nicht aus der Eifel, sondern ein Tourist aus den USA. Sein Name war David Freeman. Er stammte aus Boston.«
»Wie diese merkwürdige Anwältin?«
»Genau.«
»Glaubst du, dass er die Person sein könnte, nach der sie sucht? Gibt es dafür Anhaltspunkte?«
Manfred nahm seinen Notizblock und las vor: »David Freeman, geboren 1920 in Springfield, Massachusetts. Kam am 3. August 1974 mit einer Maschine aus Boston in Frankfurt an, checkte drei Tage später in einem Hotel in Blankenheim ein. Zum letzten Mal gesehen wurde er am Nachmittag des 7. August in Kestenbach, wo er zu Fuß die Dorfstraße entlanglief. Er fiel mehreren Anwohnern auf, zum einen wegen der dunklen Hautfarbe, zum anderen, weil er trotz der Sommerhitze in Anzug und Krawatte herumlief. Danach hat ihn keiner mehr gesehen. Das Hotel erstattete zwei Tage später eine Vermisstenanzeige. Doch alle Ermittlungen liefen ins Leere. Es gibt allerdings Gerüchte, dass der Fall nicht sehr gründlich untersucht wurde.«
Katrin schüttelte ungläubig den Kopf. »Was kann dieser David Freeman hier gewollt haben? Ist irgendwo die Rede davon, dass er Marius Grauweiler aufgesucht hat?«
»Leider nein.« Manfred zuckte mit den Schultern. »Aber der Gedanke liegt nahe, oder?«
»Allerdings.« Katrin kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Im Jahr 1974 reist ein Mann aus Boston nach Kestenbach in der Eifel. Aus welchem Grund, wissen wir nicht. Der Mann verschwindet noch am selben Tag spurlos. Und jetzt, fast genau vierzig Jahre später, reist eine Frau ebenfalls aus Boston nach Kestenbach, die behauptet, auf der Suche nach Angelika Grauweiler zu sein. Oder besser gesagt, auf der Suche nach einer Person, zu der Angelika Grauweiler angeblich Kontakt hatte. Da muss es einen Zusammenhang geben, findest du nicht?«
»Wenn nicht, wäre es ein äußerst merkwürdiger Zufall«, räumte Manfred ein. »Zwei völlig voneinander unabhängige Verbindungen zwischen der amerikanischen Metropole Boston und einem Eifeldorf mit ein paar Dutzend Einwohnern, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Hat diese Angelika 1974 noch gelebt?«
Manfred kratzte sich am Kopf. »Gute Frage, ich habe keine Ahnung.«
»Könntest du deine Mutter fragen?«
Er seufzte. »Ich kann es versuchen.«
»Bitte tu das.« Katrin beugte sich über die Tastatur ihres Rechners und gab den Namen ›David Freeman‹ in die Internetsuchmaschine ein. »Wir müssen versuchen, mehr über den Mann herauszufinden. Vielleicht haben Angehörige von David Freeman diese Anwältin hergeschickt, um herauszufinden, was mit ihm geschehen ist.«
»Nach fast vier Jahrzehnten? Warum?«
»Keine Ahnung. Das sollten wir sie fragen.« Katrin studierte die Suchergebnisse. Es waren Tausende, der Name war offenbar sehr verbreitet. Die Chancen, über David Freeman etwas im Internet herauszufinden, standen ohnehin schlecht. Über einen Vermisstenfall aus dem Jahr 1974 gab es im Netz vermutlich keine Artikel. Da musste sie noch einmal im Zeitungsarchiv nachforschen.
»Mit der Mumie hat das aber alles nichts zu tun«, gab Manfred zu bedenken. »Bei der handelt es sich wohl kaum um David Freeman.«
Katrin sah ihn nachdenklich an. »Da hast du recht. Die Mumie war ein
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