Schwanenlied: Der fünfte Fall für Katrin Sandmann (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Hinter sich hörte sie den Wagen näherkommen, hastig warf sie einen Blick über die Schulter. Er war nur noch ein paar Schritte von ihr entfernt, in der Frontscheibe spiegelte sich das Sonnenlicht, das Gesicht des Fahrers war nicht zu erkennen. Rosemary wollte zur Seite springen, doch ein Stacheldrahtzaun versperrte ihr den Weg. Sie rannte auf der Grasnarbe weiter, ganz nah am Zaun, und hoffte darauf, dass der Wagen sie einfach überholen würde, dass am Steuer irgendein Spaßvogel saß, der sie nur ein bisschen erschrecken wollte.
Plötzlich spürte sie einen heftigen Aufprall. Ein lähmender Schmerz zuckte durch ihren Körper. Sie fiel nach vorn. Dann spürte sie nichts mehr.
*
»Wonach willst du denn überhaupt suchen?« Manfred hörte sich nicht begeistert an.
Katrin warf ihm einen Blick zu. Sicherlich war es nicht leicht für ihn, mit der Vorstellung klarzukommen, dass es in seiner Familie möglicherweise einen Verbrecher gegeben hatte, dem nie jemand auf die Schliche gekommen war. Bisher war sein Vater für ihn der Inbegriff all dessen gewesen, was er an seiner Herkunft verabscheute. Dass da möglicherweise jemand existiert hatte, der nicht nur kaltherzig und überstreng, sondern ein Kinderschänder und Mörder gewesen war, schien Manfred zu überfordern.
»Du willst doch auch die Wahrheit wissen, oder?«, fragte sie sanft. »Schließlich könnte sie deinen Onkel auch entlasten.«
»Du meinst, wir könnten herausfinden, dass er zwar kein Kinderficker war, aber dafür ein Rassist, der einen schwarzen Mann umgebracht hat, weil ihm seine Nase nicht passte«, erwiderte Manfred bitter.
»Nichts spricht im Augenblick dafür, dass dein Onkel etwas mit David Freemans Verschwinden zu tun hat.«
»Ach, und warum fahren wir dann zum Hof?«
»Weil die vage Möglichkeit besteht, dass er oder seine Schwester Angelika David Freeman kannten. Vielleicht finden wir Briefe, die das belegen. Oder einen anderen Hinweis.« Katrin seufzte. »Was auch immer Marius Grauweiler getan hat, es hat nichts mit dir zu tun.«
Manfred drosselte die Geschwindigkeit des Wagens, als sie das Ortseingangsschild von Kestenbach passierten. »Das sagt sich leicht als Außenstehende. Du bist fein raus mit deiner Musterfamilie.«
»Du weißt genau, dass das mit der Musterfamilie nicht stimmt. Oder muss ich deinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen?« Für einen kurzen Moment erinnerte Katrin sich an den besten Freund ihres Vaters, einen Mann, der wie ein Onkel für sie gewesen war und sie doch beinahe umgebracht hatte.
Manfred bog auf die Straße, die zum Hof hinauf führte. »Hatte ich vergessen«, murmelte er kleinlaut.
Im gleichen Moment trat er auf die Bremse, denn hinter einer Biegung standen plötzlich zwei geparkte Streifenwagen. Zwei Beamte vermaßen die Straße, ein dritter winkte den Geländewagen vorbei. In einiger Entfernung standen ein paar Dorfbewohner und schauten neugierig herüber.
»Sieht nach einem Verkehrsunfall aus«, sagte Katrin. »Und das auf einem so schmalen Weg.«
»Ich habe nur die beiden Polizeiwagen gesehen«, wandte Manfred ein. »Keine Unfallfahrzeuge.«
»Stimmt.« Das war Katrin gar nicht aufgefallen. »Dann war es etwas anderes. Aber was?«
Sie erreichten den Hof, Manfred stellte den Motor ab. Katrin sprang aus dem Wagen und rannte fast auf das Haus zu. Sie hatte plötzlich das Gefühl, zu spät zu kommen. Vor der Tür blieb sie abrupt stehen. »Manfred?«
»Was ist los? Warum hast du es plötzlich so eilig?«, rief Manfred vom Wagen her.
»Kann es sein, dass wir am Samstag vergessen haben, die Tür abzuschließen?« Katrin drehte sich nicht um, sondern starrte auf die Haustür, die einen Spaltbreit aufstand. Auch ohne Manfreds Antwort abzuwarten, wusste sie, dass nicht sie es gewesen waren, die die Tür nicht geschlossen hatten. Holzsplitter rund um das Schloss verrieten, dass jemand sich gewaltsam Einlass verschafft hatte, vermutlich mit einem kräftigen Fußtritt.
Manfred trat neben sie. »Ach du Scheiße.«
»Vielleicht sollten wir die Polizisten rufen, die unten an der Straße sind«, sagte Katrin. »Der Einbrecher könnte noch im Haus sein.«
»Glaube ich nicht.« Manfred beugte sich vor, um sich das Schloss näher anzusehen. »Selbst wenn er eben noch drin war, das Auftauchen der Bullen hätte ihn bestimmt verscheucht.« Er schob behutsam die Tür auf.
»Wenn du meinst.« Katrin folgte ihm ins Haus.
Auf Zehenspitzen suchten sie alle Räume ab, einschließlich der geheimen Kammer. Erst
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