Schwanenschmaus im Porterhouse
irgendwelche Schuljungen, denen Sie diktieren können, was ...«
»Wenn Sie sich wie Schuljungen betragen, dürfen Sie sich nicht wundern, wie solche behandelt zu werden. Außerdem stammt der Vergleich von Ihnen, nicht von mir. Wenn Sie jetzt so gut wären, wieder Platz zu nehmen, könnten wir die Sitzung fortsetzen.« Der Rektor musterte die Fellows mit eisigem Blick, und der Obertutor setzte sich.
»Ich werde diese Gelegenheit benutzen, meine Herren«, sagte Sir Godber nach langer Pause, »um Ihnen meine Ansichten über die Funktion des Colleges in der Welt von heute mitzuteilen. Ich muß gestehen, daß ich Ihre augenscheinliche Unkenntnis über die in letzter Zeit stattgefundenen Veränderungen mit Erstaunen registriere. Ihre Haltung läßt darauf schließen, daß Sie das College als Teil Ihrer Privatsphäre betrachten und sich selbst als deren Verwalter. Ich möchte Sie von diesem Irrglauben befreien. Sie sind Teil des öffentlichen Sektors und haben somit Pflichten, Aufgaben und Funktionen der Öffentlichkeit gegenüber zu erfüllen. Daß Sie diese ignorieren und die Collegegeschäfte lieber so führen, als handle es sich um Ihre Privatangelegenheiten, beweist mir, daß Sie Ihre Befugnisse überschreiten. Entweder wir leben in einer freien, offenen und egalitären Gesellschaft, oder nicht. Ich werde als Rektor dieses Colleges dafür sorgen, daß wir denen Bildung zuteil werden lassen, die sie aufgrund ihrer Fähigkeiten verdienen, ohne Ansehen von Klasse, Geschlecht, finanziellen Verhältnissen oder Rasse. Die Zeit des Ämterkaufs ist passé.« Sir Godbers Stimme überschlug sich vor lauter drohendem Idealismus. Seit dem Protektorat der Cromwells im siebzehnten Jahrhundert hatte man im Sitzungsraum des Rates von Porterhouse kein solches Ungestüm mehr vernommen, und die Fellows saßen da und starrten den Rektor an wie ein seltsames Tier in Menschengestalt. Als er endlich fertig war, hatten sie keinerlei Zweifel mehr über seine Absichten. Porterhouse würde nie wieder wie früher sein. Zu der langen Liste von Veränderungen, die er bei vorangegangenen Sitzungen vorgeschlagen hatte, war nun noch die Einrichtung eines Studentenrates gekommen, der in Personalentscheidungen und Fragen der Collegepolitik mitentscheiden sollte. Der Rektor verließ das Sitzungszimmer erschöpft, aber zufrieden darüber, daß er seine Ansicht durchgesetzt hatte. Angesichts der von ihnen selbst heraufbeschworenen Krise blieben die Fellows entgeistert zurück. Es dauerte lange, bis jemand sprach. »Ich begreife es nicht«, sagte der Dekan mit kläglicher Stimme, »ich begreife einfach nicht, was diese Leute wollen.« Es war klar, daß Sir Godbers Eloquenz ihn in der Phantasie des Dekans von einem Individuum zu einer sozialen Klasse aufgewertet oder vielleicht auch erniedrigt hatte. »Ihren Willen durchsetzen«, antwortete der Obertutor verbittert.
»Das himmlische Königreich«, rief der Kaplan. Der Schatzmeister blieb stumm. Seine gespaltene Loyalität hatte ihn sprachlos gemacht.
Das Abendessen war eine traurige Angelegenheit. Das Semester war zu Ende, und das Schweigen der am High Table speisenden Fellows wurde durch die fehlenden Gespräche von den Tischen unter ihnen nur noch hervorgehoben. Um alles noch schlimmer zu machen, war die Suppe kalt und es gab Cottage Pie. Doch was sie so schwermütig stimmte, war das Wissen um ihre Entbehrlichkeit. Fünfhundertjahre lang hatten sie und ihre Vorgänger wenigstens einen Teil der den Staat regierenden Elite gedrillt. Diese jungen Männer hatten sich durch die Maschen ihrer nachsichtigen Intoleranz gezwängt, um Richter und Anwälte, Politiker, Militärs und Geschäftsleute zu werden, durchdrungen von einer allen gemeinsamen Selbstzufriedenheit und einem jeglichen Veränderungswillen hemmenden intellektuellen Skeptizismus. Sie waren die Verwalter politischer Trägheit, und sie wurden nicht mehr gebraucht. Endlich hatten sie die Waffen gestreckt – und zwar vor dem untauglichsten aller Politiker.
»Ein Studentenrat soll das College leiten. Es ist ungeheuerlich«, sagte der Obertutor, doch Protestieren war zwecklos. Trotz seiner kultivierten geistigen Mittelmäßigkeit hatte der Obertutor Veränderungen schon seit langem kommen sehen. Er machte die Naturwissenschaften dafür verantwortlich, daß sie dem Trugbild »Wahrheit« zu neuer Blüte verhelfen hatten, und andere so dubiose Fächer wie Anthropologie und Ökonomie, deren Anhänger unbrauchbare Statistiken an die Stelle ihrer
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