Schwanenschmaus im Porterhouse
hatte zweifellos seine Gründe, den Kerl rauszuschmeißen. Hat bestimmt die öffentliche Ordnung gestört.«
»Er nannte ihn einen Nigger«, sagte der Schatzmeister. »Wenn der Mann ein Nigger ist, wüßte ich nicht, warum Skullion ihn nicht so nennen sollte.«
»Das Amt für Beziehungen zwischen den Rassen beurteilt die Angelegenheit womöglich nicht ganz so milde.«
»Amt für Beziehungen zwischen den Rassen? Was zum Teufel hat das damit zu tun?« fragte der Dekan. »Der Bursche sagte, er wolle sich dort beschweren. Außerdem erwähnte er den Außenminister.«
Der Dekan warf das Handtuch. »Du liebe Güte«, murmelte er, »das College darf auf keinen Fall in einen diplomatischen Zwischenfall verwickelt werden.«
»Genau so ist es«, stimmte der Schatzmeister zu. »Skullion muß eben gehen.«
»Sie werden wohl recht haben«, sagte der Dekan und verabschiedete sich. Im Hof begegnete er dem im Regen wartenden Pförtner.
»Eine üble Geschichte, Skullion«, sagte er traurig. »Eine ganz üble Geschichte. Ich kann nun leider nichts mehr für Sie tun. Eine üble Geschichte.« Immer noch kopfschüttelnd ging er über den Rasen zu seinem Aufgang. In der Abenddämmerung blieb Skullion mit dem Gefühl zurück, diesmal endgültig verraten worden zu sein. Es hatte keinen Zweck mehr, mit dem Schatzmeister zu reden. Er machte auf dem Absatz kehrt und schleppte sich ins Pförtnerhäuschen zurück, wo er begann, seine Siebensachen zu packen.
Der Schatzmeister saß in seinem Büro und wartete. Er rief im Pförtnerhäuschen an, doch niemand ging ans Telefon. Endlich tippte er Skullion einen Brief, den er auf dem Nachhauseweg einwarf.
Als Skullion mit seinen wenigen Habseligkeiten in einem abgenutzten Koffer das Pförtnerhäuschen verließ, regnete es immer noch. Der Regen tropfte ihm von der Melone aufs Gesicht, so daß selbst ihm die Feststellung schwerfiel, ob tatsächlich Tränen seine Nase hinunterliefen. Wenn, dann galten sie nicht ihm, sondern der Vergangenheit, deren Repräsentant er nicht länger war. Dann und wann blieb er stehen, um nachzuschauen, ob sich im Regen auch keine Aufkleber vom Koffer gelöst hatten. Der Koffer hatte Lord Wurford gehört, und die Aufkleber aus Kairo, Kanpur und Hongkong glichen Reliquien einer imperialen Pilgerreise. Er überquerte den Marktplatz, dessen Buden nachts leerstanden. Er ging durch Petty Curie, über Bradwell’s Court und durch Christ’s Pièce in Richtung Midsummer Common. Es war schon dunkel, und seine Schuhe glucksten im Morast des Fahrradweges. Wie der Wind, der ihm eben noch ins Gesicht blies, dann nach links oder rechts auswich, um ihn auf einmal vorwärts zu treiben, schienen Skullions Gefühle keine feste Richtung zu haben. Berechnend war er nicht; seine jahrelange dienende Tätigkeit hatte ihm jeden Eigennutz ausgetrieben. Er war eine Dienstkraft, die keinem mehr diente. Kein Rektor, kein Dekan, nicht einmal ein Student war übriggeblieben, an den er sich unwirsch und grob hängen konnte, um das Ausmaß seiner Abhängigkeit zu verschleiern; vor allem beschützte ihn kein College mehr vor den Wirrungen des Lebens. Nicht das College als Gebäude war wichtig, sondern die Idee, und die war mit seiner Entlassung und dem Verrat untergegangen, den sie verkörperte.
Skullion überquerte die eiserne Fußgängerbrücke und kam zur Rhyder Street, einer zwischen den großen viktorianischen Villen von Chesterton versteckten Gasse mit Reihenhäusern, so daß sich Skullion auch hier nicht weit von den Bootshäusern und den Häusern der Professoren entfernt vorkam. Er betrat sein Häuschen, zog den Mantel aus und stellte den Koffer auf den Küchentisch. Dann setzte er sich und zog die Schuhe aus. Er machte sich eine Kanne Tee, setzte sich an den Küchentisch und überlegte, was er tun sollte. Am Morgen würde er sich beim Leiter seiner Bank nach dem Vermächtnis Lord Wurfords erkundigen. Skullion holte sich eine Dose Schuhcreme und einen Lappen und fing an, die Kappen seiner Schuhe zu wienern. Und langsam, während beide Kappen unter seinen sanft kreisenden Fingern immer mehr an Glanz gewannen, ließ Skullions Hoffnungslosigkeit nach, die sich seiner bemächtigt hatte, als der Dekan ihn im Neuen Hof hatte stehenlassen. Zum Schluß gab er den Schuhen mit einem sauberen Staubtuch den letzten Schliff, hielt sie ans Licht und entdeckte, daß sich im Glanz der Schuhe etwas widerspiegelte, was er als sein eigenes Gesicht erkannte. Er stand auf, legte Lappen und Schuhcreme weg und aß
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