Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia
hätte. Ich hätte mir ja auch die Beine brechen können, und wäre vielleicht nie mehr da rausgekommen.“
Seine Nähe war beruhigend.
„Es ist gut gegangen“, sagte er aufmunternd. „Und es war ein Abenteuer, über das du noch in zehn Jahren reden kannst.“ Er verstummte, als habe er etwas Dummes gesagt. „Bist du sicher, dass du nicht doch in ein Krankenhaus möchtest?“
„Ganz sicher. Es ist mehr der Schreck als eine körperliche Verletzung, und ich habe schon Schlimmeres erlebt.“
Er sah sie neugierig von der Seite an, während er sie zum Fahrstuhl brachte, stellte aber keine Fragen, was genau sie bereits erlebt hatte. Amalia war erleichtert darüber. Sie wollte ihm ungern erzählen, dass sie es mit großer Regelmäßigkeit schaffte, ein Mal im Jahr einen gefährlichen Unfall zu haben. Ob auf Skiern, mit dem Auto oder einfach beim Einkaufen. Zumindest war dieses Jahr mit ihrem Sturz in den Graben abgedeckt.
Zusammen stiegen sie in den Aufzug ein. Wie selbstverständlich drückte er auf den Knopf neben der Drei.
Amalia sah ihn verwundert an. „Hab ich erwähnt, dass ich im dritten Stock wohne?“
„Die Frau an der Rezeption hat es mir verraten“, sagte er mit einem entwaffnenden Lächeln.
Sie fragte sich, ob er sie ausspionierte. Seine Neugier grenzte an Stalking. Ein Teil der Ängste, die sie im Park so plötzlich überfallen hatten, kehrte zurück. Sie biss sich auf die Unterlippe.
Was war nur los mit ihr? Früher hatte sie nie solche Angstattacken und Befürchtungen gehabt.
Er stützte sie an der Hüfte, als sie aus dem Fahrstuhl traten. Amalia zeigte mit der Hand die Richtung an. Sie hatte das letzte Zimmer auf dem linken Gang. Langsam gingen sie über den dicken roten Teppich. Die Bilder an den Wänden waren in einfache silberne Rahmen gesetzt. Die Sujets zeigten vorwiegend Blumen und Stillleben. Hin und wieder wurde die Abfolge durch einen Spiegel unterbrochen.
Sie erreichten die weiße Tür und Amalia schob ihre Karte ein. Das grüne Licht blinkte auf, die Tür entriegelte.
„Dann … danke …“, murmelte sie. Sie ließ ihn nicht los. Die Vorstellung, auf diese Weise vielleicht für immer von ihm verlassen zu werden, war ihr unerträglich. Sie wollte, dass er verstand, was mit ihr geschah, aber sie verstand es selbst nicht.
„Es lag nicht an dir“, brachte sie hervor. Es kostete sie Überwindung, das zu sagen. Da traf sie wortwörtlich den Mann ihrer Träume und was geschah? Sie vertrieb ihn, indem sie sich aufführte wie ein psychisch labiles Wrack. „Es tut mir leid, dass ich euer Picknick verdorben habe.“
„Das hast du nicht. Grace und Darion hatten ihren Freiluftsex, mehr brauchen sie nicht zu ihrem Glück.“ Sein Lächeln war entwaffnend.
Sie wusste dennoch nicht, was sie entgegnen sollte. Sie schwiegen beide.
„Soll ich mit reinkommen?“, fragte er nach einer Weile. Mit einer Hand trug er ihren Zeichenkoffer.
Sie nickte und öffnete die Tür. Ihr fiel das Chaos ein, das sie neben dem Bett veranstaltet hatte und sie schämte sich etwas. Ihre Wangen glühten.
Doch er trat ein, als würde er die herumliegenden Kleider nicht wahrnehmen. Den Koffer stellte er an der Garderobe ab. Rücksichtsvoll zog er ihr einen Sessel hin, dann setzte er sich auf den freien Stuhl am Arbeitstisch. Eine Weile sprachen sie kein Wort.
„Ich verstehe das alles nicht“, brach sie das Schweigen.
„Was hast du denn gefühlt, als du weggelaufen bist?“ Seine Worte klangen angespannt.
Klar, er hielt sie für verrückt. Was auch sonst.
„Das klingt zu idiotisch, um es zu erzählen. Ich meine … ich weiß, dass es nicht real ist.“
Aurelius blickte sie unverwandt an. Wieder war ihr, als hülle seine Wärme sie ein und als dürfe sie sich ihm ganz und gar öffnen. Sie nahm ihren Mut zusammen.
„Da sind Bilder in mir. Bilder wie von einem vorherigen Leben.“
Er nickte. Zumindest lachte er nicht. „Es gibt sehr viele Berichte darüber. Manche Menschen – und nicht die Verrücktesten – schwören felsenfest, dass es wahr ist. Dass es vorherige Leben gibt und unsere Seelen reisen können.“
Ihr fiel wieder ein, was er über die Katze in seinem Traum erzählt hatte. Er habe aus einem Teilstück seiner Seele eine Katze geformt und sie quer durch die Zeiten geschickt. Anscheinend hielt er sie nicht für verrückt. Erleichterung durchflutete sie, so sehr, dass ihre Augen feucht wurden.
„Danke für dein Verständnis.“
Aurelius stand auf. „Ich lasse dir Badewasser ein. Dein
Weitere Kostenlose Bücher