Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
bieten kann. Die schönen Kleider, das gute Essen. Seitdem ich in Tatjens Dienste getreten bin, geht es uns hervorragend.“
Es schmerzte, sie weinen zu sehen.
„Und das Blut?“, flüsterte sie. „Warum trinkst du das Blut von Tieren? Warum alterst du nicht? Ist Tatjen ... ist er ...“ Ihre Stimme war kaum noch zu hören. „Der Teufel oder ein Diener des Teufels?“
Aurelius stand auf und wollte sie in den Arm nehmen.
Sie wich zurück. „Ich werde in den Fluss springen, Aurelius, wenn du mir dieses Mal nicht die Wahrheit sagst. Bei Jesus, ich kann deine Lügen nicht mehr ertragen.“
Er blieb stehen. Ihre Worte waren ungewohnt ernst. Das Gesicht wirkte bleich und eingefallen, um den Mund lag ein verhärmter Zug. Hatte er ihr das durch seine Lügen angetan?
Er wandte das Gesicht ab. Tatjena hatte gedroht, dass Edita sterben musste, wenn er sich ihr offenbarte. Schon lange sehnte er sich danach, mit ihr zu reden, aber er wollte ihr Leben nicht gefährden. Nun gefährdete sie es selbst. Er atmete tief und langsam ein. Inzwischen wusste er, dass er weniger Atemluft benötigte als ein Mensch. Trotzdem hielt er am Atmen fest, und das nicht nur, weil er sich verraten könnte, wenn er es vergaß. Er wollte kein übernatürliches Wesen sein.
Vorsichtig, als habe er Angst, einen Schmetterling zu vertreiben, streckte er die Hand aus. „Komm zu mir, und ich erzähle es dir.“
Sie zögerte, kam schließlich aber näher und nahm seine Hand.
Er zog sie eng an sich. Straßburg war so abergläubisch wie alle Städte, die er kannte. Er musste sein Wissen geheim halten und darauf achten, nicht belauscht zu werden. Als er sich umsah, entdeckte er mehrere Passanten. Vielleicht waren Feinde darunter. Tatjena hatte viele davon.
„Komm mit“, sagte er bestimmt. „Ich möchte mit dir allein sein.“
„Wie willst du das mitten in der Stadt ...“
Er ließ sie nicht ausreden und zog sie mit sich. Er spürte ihren Widerwillen, als sie auf das Münster zugingen. Obwohl auch Editas Glaube schwankte, war sie doch Protestantin, und der protzige katholische Bau war ein Dorn in ihrem Auge.
Aurelius führte sie unbeeindruckt von ihrer Reaktion weiter. Er wusste, dass der Turm derzeit nicht bestiegen werden durfte. Entschlossen brachte er Edita zum Aufgang des Turmes und winkte den nächsten Priester heran. „Du, öffne uns.“
Er ließ bei diesen Worten einen Teil seiner Menschlichkeit fallen. Durch Tatjena hatte er gelernt, mit seiner Ausstrahlung zu spielen und Menschen in Furcht zu versetzen.
Der Priester blinzelte. „Ja, Herr, sicher.“ Nervös zog er einen großen Schlüsselbund hervor und öffnete die Tür. „Wie lange wollt ihr auf dem Turm bleiben, Herr?“
„Nicht länger als eine Stunde. Ich will nicht gestört werden.“
Der Priester nickte ehrerbietig, und Edita sah Aurelius mit großen Augen an.
„Was bist du?“, wiederholte sie ihre Frage.
Er antwortete nicht. Gemeinsam bestiegen sie den Turm. Der Wind pfiff durch die Gitter, die vom Boden bis zur Decke reichten. An jeder Biegung konnten sie sehen, wie hoch hinauf sie stiegen. Edita fürchtete sich vor der Höhe, doch sie beschwerte sich nicht. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie das Ende der gewundenen Treppe erreichten und unter einem strahlend blauen Himmel auf die Plattform traten. Eine Weile ließ er sie verschnaufen und schaute weit in das Land, das Elsass und den Schwarzwald. Auch die Vogesen ließen sich von hier aus erkennen. Unter ihnen erstreckte sich die Stadt winzig klein, wie ein Holzspielzeug für ein adeliges Kind.
„Rede endlich mit mir“, forderte Edita.
„Hast du je von Vampiren gehört? Bluttrinkern? Dämonen?“
Sie sank gegen die Mauer und keuchte heftig. „Ich wusste es“, flüsterte sie.
Er blieb, wo er war, um sie nicht zur Flucht zu treiben. „Ich bin anders, Edita, aber ich bin nicht böse. Ich altere nicht. Mein Körper hat sich verändert. Es ist wie eine Krankheit, nur dass diese Krankheit den Körper widerstandsfähiger macht. Meine Wunden verheilen schneller, mein Körper lässt jede Narbe vergehen, außer der alten Schnitte, die noch aus meiner Zeit als Mensch stammen.“
„Deine Zeit als Mensch?“, fragte sie verblüfft.
Er nickte. „Ich war ein Mensch wie du, doch dann wurde ich überfallen und tödlich verletzt. Tatjen machte mich zu einem Vampir und schenkte mir so das Leben.“ Er verschwieg auch jetzt, dass Tatjena eine Frau war. Edita würde den Gedanken nicht ertragen, dass er Ehebruch
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