Schwartz, S: Blutseelen 2: Aurelius
servierte. Er ließ sie oft hin und her laufen, um Zucker oder eine spezielle Porzellantasse zu holen, nur damit er sich an ihrem wiegenden Gang erfreuen konnte.
Aurelius widerte dieses Verhalten an, aber er verstand seinen Bruder. Sie hatten viele Gräuel erlebt, warum sollte er sich nicht den Luxus gönnen, den Anblick schöner Frauen zu genießen?
„Wie gehen die Bauarbeiten voran?“
„Großartig. Allerdings wird der Bau noch viel Zeit in Anspruch nehmen.“ Darion nahm einen Schluck Tee. Obwohl er monatelang ohne menschliche Nahrung auskommen konnte, verzichtete er nicht – wie Aurelius – darauf. „Das Anwesen wächst jeden Tag. Tatjena zu begegnen war ein Glücksfall. Und Gracia ist ...“ Er stieß einen leisen Pfiff aus. „Unbeschreiblich.“
Aurelius nickte zögernd. Gracia hatte sich ihm mehr als einmal aufgedrängt, und er hatte ihr Anliegen ebenso oft zurückgewiesen. Es war schwer genug, Edita die Wahrheit über Tatjena vorzuenthalten. Sich in eine Affäre mit Gracia zu stürzen war das Letzte, was er brauchte.
„Glaubst du, die Arbeiten können im kommenden Jahr beendet werden?“
„Ich denke nicht. Der Rohbau schon, aber Gracia und Tatjena haben einige Extrawünsche, die ...“
Die Doppeltür des Salons flog auf, und Edita trat wie eine Rachegöttin in den Raum. Sie hatte die Hände in die Hüften auf den seidigen Stoff des Kleides gestemmt, ihr Gesicht zeigte entfesselte Wut.
„Sie ist eine Frau!“, herrschte sie Aurelius an, ohne Darion zu beachten. „Tatjen ist ein Weib! Du wusstest das!“
Darion lehnte sich entspannt zurück und schlug ein Bein über das andere. „Ich dachte schon, du merkst es nie.“
Edita fuhr zu ihm herum und ballte die Hände zu Fäusten. „Raus! Lass uns allein!“
Darion erhob sich schulterzuckend, als habe er alle Zeit der Welt. „Nimm’s nicht so schwer. Aurelius hätte dich einfach in Deutschland sitzen lassen können, und wer weiß, vielleicht hätte dich dann schon die Pest ...“
„Ich sagte, raus!“ Edita sah aus, als wolle sie handgreiflich werden.
„Geh“, sagte Aurelius und stand auf. Er hatte diesen Tag gefürchtet und doch gewusst, dass er kommen würde. „Setz dich.“ Er wies auf den frei gewordenen Sessel.
„Ich will mich nicht setzen. Du schläfst mit ihr. Ich will wissen, ob du sie liebst.“
„Wie kommst du darauf ...“
„Halt mich nicht für dumm! Mein Vater mag nur ein Bauer gewesen sein, aber dumm bin ich nicht.“
Aurelius nickte bedächtig. Es lag auf der Hand, dass er mit Tatjena schlief. Warum sonst hätte er Edita mehrere Monate hinweg über Tatjenas Geschlecht im Unklaren lassen sollen. Wie sie es wohl erfahren hatte? Er schüttelte den Kopf. Das war gleichgültig.
Er begann, im Raum auf und ab zu gehen. „Ja, ich schlafe mit Tatjena, hin und wieder. Und nein, ich liebe sie nicht. Ich liebe weder sie noch dich. In meinem Herzen ist kein Platz dafür.“ Er schwieg. Wie sollte er das Gefühl des Verlustes erklären? Er hatte in seinem ganzen Leben nicht geliebt. Nicht so, wie er glaubte, dass andere Menschen liebten. Es war, als gäbe es da etwas – oder jemanden –, der das verhinderte.
Editas Stimme wurde leiser. Sie wusste, dass er sie nicht liebte und sie nur aus Pflichtgefühl und Respekt bei sich behielt. „Ich will, dass du mich verwandelst. Ich möchte wie Tatjena und Gracia sein. Stolz und frei. Wenn du mich verwandelt hast, werde ich euch verlassen und meinen eigenen Weg gehen.“
Er blieb stehen. „Ich kann deinen Wunsch verstehen. Tatjena und Gracia sind beeindruckende Frauen, die sich in dieser Welt einen außergewöhnlichen Platz erobert haben. Aber das ändert nichts daran, dass du eine Umwandlung nicht überleben würdest.“
„Das sind Tatjenas Lügen.“
„Tatjena lügt in diesem Punkt nicht.“
„Ich lasse es darauf ankommen.“
Er schüttelte den Kopf und sah auf den verschlossenen Kamin, der nur selten befeuert wurde und nach kalter Asche roch. „Das kann ich nicht zulassen.“
„Dann werde ich Darion oder Gracia fragen, ob sie es tun.“
„Das werden sie nicht. Ich habe es ihnen verboten.“
Sie sahen einander an. Aus Editas Augen sprühte der Zorn. „Ich hasse dich!“ Sie drehte sich auf dem Absatz um, rannte aus dem Zimmer und schlug die Flügeltür des Portals hinter sich zu.
Aurelius stand lange Zeit wie erstarrt. Die Dinge wuchsen ihm über den Kopf. Was wohl sein verstorbener Vater gesagt hätte? Er wünschte sich eine Erinnerung an das Gesicht seines
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