Schwarz auf Rot
uns a l les.«
Bao glich jetzt einer Bohnenstaude, die der Frost e r wischt hat.
»Hier habe ich den Beweis; Sie haben das aus Yins Zimmer gestohlen«, sagte Chen. »Es hat keinen Sinn, es abzustreiten. Dies ist Ihre letzte Chance zur Kooperat i on.«
»Seien Sie doch vernünftig, Bao«, sagte Yu.
»Ich wollte doch nicht…«, begann Bao völlig aufg e löst zu stammeln. »Ich hab es wirklich nicht gewollt.«
»Einen Moment«, sagte Chen und zog einen tragbaren Kassettenrekorder aus der Tasche.
»Ja, am besten, wir nehmen das gleich hier auf«, sagte Yu.
»Es ist Ihr Fall, Hauptwachtmeister Yu. Sie leiten das Verhör. Ich werfe bei einer Schale Nudeln so lange einen Blick auf das Manuskript. Bin unten im Restaurant.«
»Aber nein, Chef. Wir sollten ihn gemeinsam verh ö ren. Sie können doch auch hier lesen.«
»Ich habe noch nicht gefrühstückt. Sobald ich etwas im Magen habe, komme ich zurück.«
Dann legte Bao sein Geständnis ab. Er hockte, den Kopf in den Händen vergraben, wie Yu es in einem Film bei den Bauern aus dem Nordwesten gesehen hatte. Der Kassettenrekorder stand vor Bao am Boden. Während Yu auf dem provisorischen Bett saß und auf ihn hinuntersah, begann der junge Mann zu erzählen.
Alles hatte vor dreieinhalb Jahren mit Baos erster Re i se nach Shanghai angefangen. Anlaß war der Tod seiner Großmutter gewesen. Die sterbende Jie hatte sich g e wünscht, ihren Enkel ein erstes und letztes Mal zu sehen. Auch ihr hatte die Kulturrevolution ein tragisches Schicksal beschert. Hong, damals n och ein Teenager, hatte versucht, sich den Roten Garden anzuschließen, war aber wegen ihres Familienhintergrunds abgewiesen worden. Daraufhin hatte sie gemeint, ihren revolution ä ren Eifer dadurch unter Beweis stellen zu müssen, daß sie den Kontakt zu ihren Eltern abbrach. Sie verleugnete ihre Eltern und Yang, den rechtsabweichlerischen Onkel, den sie nie getroffen hatte. Hong zählte zu den ersten Gru p pen gebildeter Jugendlicher, die in die Provinz Jiangxi gingen, um dort umerzogen zu werden. Doch sie ging noch einen Schritt weiter, indem sie einen Bauern heir a tete. Damit brach sie endgültig mit ihrem früheren Leben.
Am Ende der Kulturrevolution bereute Hong diese »revolutionäre Entscheidung« offenbar, doch ließ sich daran nun nichts mehr ändern. Ihr Vater war gestorben, und ihre Mutter hätte ihr nie verziehen. Nach den ersten zwei Ehejahren hatten sie und ihr Mann sich nichts mehr zu sagen. Also setzte sie alle ihre Hoffnungen auf den Sohn Bao; sie hielt ihn zum Lesen an und erzählte ihm Geschichten. Viele dieser Geschichten handelten von der wunderbaren Stadt, in der sie aufgewachsen war. Auch Yang kam darin vor. Im Lauf der Jahre hatte er sich in ihrer Vorstellung vom schwarzen Konterrevolutionär zum eindrucksvollen Intellektuellen gewandelt.
Als sie vom Wunsch ihrer sterbenden Mutter erfuhr, borgte sie sich mit Mühe das Geld für Baos Bahnfahrt zusammen. Die alte Frau hatte ihr noch immer nicht ve r geben, also stieg Bao allein in den Zug. Als er in Shan g hai ankam, war Jie bereits tot. Ihr Zimmer war von staa t licher Seite weitervermietet worden. Ihre geringe Habe hatten die Nachbarn unter sich aufgeteilt. Einer behaupt e te, Jie hätte ihm ihre Möbel versprochen, eine andere nahm sich die Kleidungsstücke. Nicht, daß das alles viel wert gewesen wäre, aber für Bao war es dennoch eine riesige Enttäuschung. Hong hatte ihn mit der Hoffnung auf ein Erbe losgeschickt.
Auf dem Sterbebett hatte man Jie allein gelassen, und jetzt, wo sie tot war, tauchte ihr Enkel aus dem Nichts auf, um seine Ansprüche geltend zu machen. Daher em p fingen die Nachbarn Bao nicht gerade mit offenen A r men. Er hatte nicht einmal eine Unterkunft in der Stadt. Immerhin e r fuhr er vom Nachbarschaftskomitee, daß eine gewisse Yin Lige an der Trauerfeier für Jie teilg e nommen hatte. Sie hatte ein altes Photoalbum mitg e nommen sowie ein paar alte Briefe, die niemand sonst haben wollte.
Eines der Komiteemitglieder riet ihm, sich an diese Yin zu wenden. Auch von Hong hatte er ihren Namen schon gehört. Sie hatte erfahren, daß einige von Yangs früheren Übersetzungen noch einmal nachgedruckt wo r den waren. Oder waren es seine Gedichte? Jedenfalls hatte sie Bao Hoffnung gemacht, daß da Geld zu holen sei. Zumindest mußte Yin etwas darüber wissen.
Das war der Grund, warum er Yin in der Schatzga r tengasse aufsuchte.
Yin nahm ihn, nachdem er sich vorgestellt hatte, gas t freundlich auf. Immerhin
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