Schwarz auf Rot
war er ein naher Verwandter Yangs. Sie drängte ihn, doch ein paar Tage zu bleiben. Die Gasse lag im Zentrum, und sie schlug vor, er solle sich die Stadt ansehen, während sie ihren Unterricht an der Universität hielt. Wenn sie Zeit hatte, zeigte sie ihm die Sehenswürdigkeiten und lud ihn einmal sogar ins X i nya an der Nanjing Lu zum Essen ein. Alles lief wunde r bar bis zu dem Moment, in dem er ihr sagte, warum er nach Shanghai gekommen war.
Von da an war sie wie ausgewechselt. An Yangs fr ü hen Übersetzungen hatte sie nichts verdient, anders aber war das mit dem Gedichtband. Sie zeigte ihm die A b rechnung, die sie vom Verlag erhalten hatte. Daraus war allerdings nicht genau ersichtlich, wieviel ihr als Herau s geberin zustand, und sie hatte daraufhin ein Treffen mit dem zuständigen Lektor vereinbart. Sie war es, die darauf bestanden hatte, daß er nach Erhalt einer kleinen Abfi n dung vom Verlag versichern mußte, Yin nicht weiter zu behelligen.
Bao hielt das für ungerecht. Er hatte das Gefühl, daß diese Städter, allen voran Yin, ein Landei wie ihn übers Ohr hauen wollten.
Mit weniger als tausend Yuan kehrte er in sein Dorf zurück. Dort hätte man mit einer solchen Summe einiges anfangen können, aber nach seiner Reise war Bao wie ausgewechselt. Er wollte sich nicht damit zufriedeng e ben, wie sein Vater und Großvater tagaus, tagein im Schlamm der Reisfelder zu stehen. Der Ausflug nach Shanghai hatte ihm die Augen für eine andere Welt g e öffnet. Die Tatsache, daß seine Großmutter ihr Leben in dieser Stadt verbracht und seine Mutter immerhin sie b zehn Jahre dort gelebt hatte, vor allem aber die Legende von seinem Großonkel machten es ihm unmöglich, we i terhin in diesem armen, rückständigen Dorf zu bleiben.
Er eröffnete seiner Mutter, daß er nach Shanghai g e hen und dort sein Glück machen werde.
Da war er nicht der einzige. So mancher junge Mann aus dem Dorf hatte sich bereits in die Großstadt aufg e macht.
Doch das reale Shanghai hatte nichts mit der Stadt se i ner Träume gemein. Bao besaß weder Startkapital noch irgendwelche Fertigkeiten, die er hätte vermarkten kö n nen. Schlecht bezahlte Gelegenheitsjobs auf Baustellen waren alles, was er bekommen konnte. Zugleich sah er mit eigenen Augen, wie die Reichen in Geld und Luxus schwammen, während sein magerer Monatslohn nicht einmal für einen Karaoke-Abend reichte. Wäre er, wie andere Zuzügler vom Land, zu harter Arbeit bereit gew e sen, hätte er sich sein Auskommen sichern können. Aber Bao wollte mehr.
Sein Shanghaier Hintergrund habe ihn, so glaubte er, zu etwas Besserem bestimmt. Er konnte seine hohen E r wartungen und die Hoffnung auf das große Erbe als Großneffe Yangs einfach nicht vergessen.
Er hatte begonnen, sich über Yang zu informieren, und war auf den Roman Tod eines chinesischen Professors gestoßen. Wie andere vor ihm, so war auch er überzeugt, daß sich dessen Erfolg vor allem durch Yins Beziehung zu Yang erklärte. Daraus l eitete er eigene, legale Anspr ü che als Yangs Erbe ab, die nicht übergangen werden dur f ten.
Wenn Yin aus Yangs Hinterlassenschaft bereits eine Gedichtsammlung herausgegeben hatte, könnten vie l leicht noch weitere Manuskripte, womöglich eine Übe r setzung oder ein Roman, existieren. Seine Mutter hatte einmal erwähnt, daß Yang schon vor der Kulturrevolut i on eine Kurzgeschichte geschrieben hatte. Und schlie ß lich erfuhr er, daß Yangs Gedichtsammlung eine zweite, wenn nicht gar eine dritte, für ihn einträgliche Auflage erlebt hätte, wäre da nicht der Skandal um Tod eines ch i nesischen Professors gewesen.
Bao beließ es nicht bei Spekulationen. Während er seine niederen Arbeiten verrichtete, versuchte er mit a l len Mitteln, seinem Schicksal eine positive Wendung zu geben. Zunächst probierte er es mit dem Mah-Jongg-Spiel, doch das klappte nicht. Er verlor zwar nicht viel, aber die langen, schlaflosen Nächte am Spieltisch kost e ten ihn so manchen Job. Dann warf er sich mit gelieh e nem Geld auf Börsenspekulationen. Am Anfang brachte ihm das ein paar Hundert Yuan ein, doch dann geriet er in die Schuldenfalle, und seine Gläubiger klopften bald zu allen Tages-und Nachtzeiten an die Tür.
In seiner Verzweiflung wollte er sich noch einmal an Yin wenden. Sie hatte viel Geld – zumindest erschien ihm das so.
Sie hätte ihm helfen sollen.
Ohne Yang wäre Yin ein Nichts. Der Roman, das Geld, der Ruhm – alles war ihr bloß wegen der Bezi e hung mit ihm zugefallen.
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