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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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langsamer gehen sollen. Solche Unfälle waren an der Tagesordnung; aber de n noch hatte sich Lanlan vor Yins Tür wie eine Furie au f geführt.
    »Ein weißer Tigerstern bist du! Jeden in deiner Nähe trifft das Unglück. Aber der Himmel hat Augen, und er wird es dir heimzahlen.«
    Yin konnte die Anspielung mit dem weißen Tigerstern nicht entgangen sein, aber sie war klug genug, im Zi m mer zu bleiben und sich still zu verhalten.
    Doch Lanlans Zorn wurde durch diese Nichtbeachtung nur noch geschürt, und sie machte sich durch Anschuld i gungen bei den Mieterversammlungen Luft. Viele wu n derten sich über die Heftigkeit ihrer Vorwürfe gegenüber Yin. Aber selbst das war in Yus Augen noch längst kein Mordmotiv. Außerdem lag der Vorfall bereits Jahre z u rück.
    Er beschloß, sich den zweiten Namen auf der Liste vorzunehmen. Wan Qianshen war ein pensionierter A r beiter, der allein im Dachstock wohnte. Er war an jenem Morgen außer Haus gewesen, denn auch er hatte die G e wohnheit, in aller Frühe am Bund Tai-Chi zu üben.
    Die Akte des Alten Liang enthielt einen kurzen L e benslauf Wans. Er hatte in einer Stahlfabrik gearbeitet und »sich dem Aufbau des Sozialismus verschrieben«. Während der Kulturrevolution war Wan Mitglied der angesehenen Mao-Zedong-Gedanken-Propagandatrupps geworden. Als gegen Ende der sechziger Jahre die Roten Garden ihre Macht auszuweiten suchten, war es dem Vorsitzenden Mao gelungen, die Kontrolle über die ju n gen Leute zu behalten, indem er Arbeiterteams mit neuen revolutionären Theorien in die Schulen und Universitäten schickte. Laut Mao benötigten die Schüler und Stude n ten, die westlich-bourgoisem Gedankengut ausgesetzt waren, eine Umerziehung. Sie wurden angehalten, von den Arbeitern, der Speerspitze des Proletariats, zu lernen. In jenen Tagen galt es als große Ehre, einem dieser Pr o pagandatrupps anzugehören. Schüler, Studenten und Lehrer mußten jemandem wie Wan zuhören. Er war der stets politisch korrekte Genosse, ein Vorbild für alle.
    Natürlich änderte sich das 1976 mit dem Tod des Gr o ßen Vorsitzenden und dem Ende der Kulturrevolution. Die Propagandatrupps verschwanden aus Schulen und Universitäten, und auch Wan kehrte Ende der siebziger Jahre in die Gasse zurück. Später ging er wie jeder alte Mann in den Ruhestand. Seitdem glich er einem Gege n stand aus geschwärztem Silber; die Tage seiner strahle n den Erfolge glänzten nur noch in seiner Erinnerung.
    In einer zunehmend materialistischen Gesellschaft mußte Wan nun verspätet einsehen, daß ihm sein revol u tionärer Einsatz letztlich nichts gebracht hatte. Er war zu beschäftigt und zu begeistert gewesen, um an sich selbst zu denken, und nun saß er allein und verlassen in seinem Dachstübchen. Seine kleine Rente schmolz unter der g a loppierenden Inflation zusammen, und der Staatsbetrieb, in dem er gearbeitet hatte, konnte nicht mehr für seine medizinische Versorgung aufkommen. Also klagte Wan beständig und in den düstersten Farben, wie schlecht die Welt doch geworden sei. Schließlich sandte das Schic k sal ihm Yin über den Weg; gemäß dem alten Sprichwort: Der Pfad, auf dem Feinde sich begegnen, ist eng. In i h rem Fall war es die schmale Treppe ihres Wohnhauses, die sie täglich auf und ab gingen.
    In Tod eines chinesischen Professors gab es drastische Schilderungen solcher Arbeiter-Propagandatrupps. Wan erfuhr davon und besorgte sich ein Exemplar. Zu seiner Empörung stellte s ich die dort beschriebene Universität als ebenjene heraus, an der Wan stationiert gewesen war. Obgleich Yin keine Namen genannt hatte, erboste ihn das so sehr, daß er das Buch in Stücke riß und ihr die Schni t zel vor die Tür warf. Yin verteidigte sich hinter ve r schlossener Tür und rief: »Wenn du kein Dieb bist, wa r um fühlst du dich dann ertappt?«
    Draußen auf dem Treppenabsatz fluchte Wan lauthals: »Du stinkende Hündin! Glaubst du vielleicht, China sei ein Land für bürgerliche Intellektuelle? Ein Betonkopf wie du gehört ins Grab! Der Himmel soll mein Zeuge sein, daß ich dafür sorgen werde.«
    Mehrere Nachbarn hörten ihn, aber natürlich hatte das seinerzeit niemand ernst genommen.
    Die Leute sagten oft Dinge in ihrem Zorn, die sie dann schnell wieder vergaßen. Aber bei Wan war das anders, wie Alter Liang betonte. Wan wechselte seither kein Wort mehr mit Yin. Sein Haß gegen sie war, wie er selbst sagte, so tief, »daß sie nicht unter demselben Himmel leben konnten«.
    Was Wan aber noch

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