Schwarz auf Rot
Stand der Ermittlungen durchgesprochen. Er hat alles Notwendige in die Wege geleitet. Ich glaube nicht, daß meine Anw e senheit etwas ändern würde.«
»Es handelt sich um eine ausgesprochen komplexe und heikle Angelegenheit«, sagte Li. »Wir müssen uns e re besten Leute einsetzen.«
»Aber das ist mein erster Urlaub seit drei Jahren. Ich habe bereits Pläne gemacht.« Chen hielt es für besser, die Übersetzung nicht zu erwähnen. »Ich glaube nicht, daß es für Hauptwachtmeister Yu und die Stimmung in der A b teilung gut wäre, wenn ich mich jetzt einmischen wü r de.«
»Was wollen Sie denn, jeder weiß doch, daß Haup t wachtmeister Yu Ihr Mann ist«, entgegnete Li. »Auße r dem sind Sie selbst Schriftsteller und können jemanden wie Yin besser verstehen. Einige Aspekte dieses Falles werden sich Ihnen eher erschließen als Hauptwachtme i ster Yu.«
»Nun ja, ich wünschte, ich könnte helfen«, sagte Chen. Dieser Teil von Lis Argumentation leuchtete ein. Wäre da nicht das lukrative Übersetzungsprojekt, hätte Chen womöglich seinen Urlaub abgebrochen.
»Der Bürgermeister wird mich nächste Woche wieder anrufen, Oberinspektor Chen«, fuhr Parteisekretär Li fort. »Was soll ich ihm erzählen, wenn es bis dahin keine neuen Entwicklungen gibt? Schließlich weiß er, daß der Fall Ihrer Spezialabteilung zugeteilt wurde.«
Oberinspektor Chen reagierte irritiert auf diesen Hi n weis. »Machen Sie sich keine unnötigen Gedanken, Pa r teisekretär Li. Unter Ihrer Leitung wird der Fall mit S i cherheit aufgeklärt werden.«
»Wir können die politische Bedeutung dieser Sache gar nicht hoch genug einschätzen. Sie müssen Haup t wachtmeister Yu in jeder Hinsicht unterstützen, Oberi n spektor Chen.«
»Da haben Sie recht, Parteisekretär Li.« Es war nicht das erste Mal, daß Li auf der politischen Bedeutung eines Falles herumritt. Chen beschloß, einen Kompromiß ei n zugehen. »Ich werde ins Präsidium kommen und mir e i nen Überblick verschaffen, sobald ich Zeit finde. Heute oder morgen.«
Als er den Hörer auflegte, sah er ein listiges Lächeln um den Mund von Weißer Wolke spielen. Dann bemer k te er eine Art Aktentasche, die auf dem Tisch lag.
»Was ist das?«
»Ein Laptop. Er kann Ihnen viel Zeit ersparen. Sie müssen nicht alles wieder und wieder abtippen, wie bei einer Schreibmaschine. Ich habe Gu von Ihrer Arbeit e r zählt, und er bat mich, Ihnen diesen Computer zu bri n gen.«
»Vielen Dank. Im Präsidium habe ich einen PC, aber er ist zu schwer, um ihn mit nach Hause zu nehmen.«
»Ich weiß. Ich habe auch die Software für ein chin e sisch - englisches Lexikon draufgeladen. Das erleichtert das Nachschlagen.«
Dann holte sie die Vokabellisten heraus, die er ihr g e geben hatte. Sie hatte sie säuberlich auf englisch und ch i nesisch ausgedruckt.
Ein cleveres Mädchen. Gu hatte gut daran getan, sie ihm zu schicken. Wie schon Konfuzius sagte: Trag ihr eine Sache auf, und sie wird drei erledigen, dachte Chen. Doch dann war er sich nicht mehr so sicher, ob das ta t sächlich von Konfuzius stammte.
»Sie sind mir eine große Hilfe, Weiße Wolke.«
»Es macht wirklich Spaß, mit Ihnen zu arbeiten, Obe r inspektor Chen.«
Dann wandte sie sich der Küche zu. Sie trug ein paar Baumwollschläppchen mit weichen Sohlen, die sie o f fenbar mitgebracht hatte. Rücksichtsvoll war dieses Mädchen auch noch; sie schien ihn so wenig wie möglich stören zu wollen.
Er begann seine Arbeit am Laptop. Die Tastatur sprach viel leichter an als die Tasten seiner Schreibm a schine; er fühlte sich an ihre lautlosen Schritte erinnert.
Dennoch registrierte sein Unterbewußtsein jede ihrer Bewegungen, selbst dann, wenn sie sich in der Küche zu schaffen machte. Es fiel ihm schwer, in ihr nicht jenes Karaoke-Mädchen zu sehen, das er in einem Separee des Dynasty Club kennengelernt hatte, oder zu vergessen, wie Gu sie ihm als kleine Sekretärin vorgestellt hatte. Aber die Menschen paßten sich ihrer jeweiligen Umg e bung an.
Sie ist meine zeitweilige Assistentin für ein bestim m tes Projekt, sagte er immer wieder zu sich selbst.
In einem zenbuddhistischen Lehrspruch, den er kür z lich gelesen hatte, sagte der ehrwürdige Meister: Nicht der Wind ist es, der sich bewegt, und auch nicht die Fa h ne. Was sich bewegt, ist euer eigenes Herz.
Während er in den Computer übertrug, was er am Vo r tag auf der Schreibmaschine getippt hatte, nippte er an dem Kaffee, der, wenn auch lauwarm, stark und arom a tisch war.
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