Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
Vom Netzwerk:
nicht gesucht. Sie hat auch mit den anderen kaum geredet.« Nach einer Pause fügte Herr Ren noch hinzu: »Die einzige Gemeinsamkeit war wohl, daß wir beide kaum die Gemeinschaftsküche benutzten. Sie war zu sehr mit dem Schreiben beschäftigt. Was mich betrifft, so bin ich ein sparsamer Gourmet.«
    »Ein sparsamer Gourmet?« fragte Yu. »Das müssen Sie mir erklären.«
    »Tja, die Roten Garden haben mir zu Beginn der Ku l turrevolution meine ganze persönliche Habe genommen. Vermutlich ist das der Familie Ihrer Frau ähnlich erga n gen. Vor ein paar Jahren hat mir der Staat dann eine kle i ne Entschädigung gezahlt. Nicht viel, denn die Schätzung der Werte basierte auf dem Standard zur Zeit der Entei g nung. Meine Kinder benötigen mein Geld nicht, und ich selbst will es nicht mit in den Sarg nehmen. Ich habe eine Schwäche, wie ich Ihnen gestehen muß, und zwar für gutes Essen, insbesondere die Spezialitäten unserer Stadt. Daher esse ich soviel wie möglich in Restaurants. A u ßerdem ist es mühsam für einen alten Mann, wenn er j e den Morgen den Kohleherd anheizen muß.«
    »Meine Frau macht das auch jeden Morgen; ich weiß, wovon Sie reden. Sie haben mich neugierig gemacht. Vor einem Jahr hätten Sie hier ausziehen können, Herr Ren, aber Sie haben das Angebot Ihres Sohnes ausgeschlagen, Ihnen in einem besseren Viertel ein Apartment zu ka u fen. Warum?«
    »Wieso sollte ich umziehen? Ich habe mein Leben lang hier gewohnt, alles steckt voller Erinnerungen. Ein Blatt muß nahe bei seinen Wurzeln fallen. Und meine Wurzeln sind hier.«
    »Aber das neue Apartmenthaus wäre wesentlich ko m fortabler gewesen, mit Gasanschluß, Badezimmer und anderem modernen Luxus.«
    »Ich bin auf meine Weise zufrieden. Für einen spa r samen Gourmet ist dies hier eine ideale Lage, ganz in der Nähe gibt es eine Reihe hervorragender Restaurants. Alle in Laufdistanz. Vielleicht haben Sie das auch schon fes t gestellt. An dem Morgen, als Yin ermordet wurde, war ich in einem Nudelrestaurant namens Alter Halbplatz. Ich gehe drei-, viermal pro Woche dort hin. Es gibt viele alte Stammkunden wie mich. Manche kommen jeden Mo r gen. Der Alte Halbplatz ist eines der wenigen verblieb e nen, staatlich geführten Restaurants, die die Qualität ihrer Gerichte beibehalten und die Preise nicht erhöht haben. Delikat und günstig zugleich. Sie sollten wirklich mal hingehen.«
    »Vielen Dank für den Tip, Genosse Ren. Wenn Ihnen noch etwas zu Yin einfällt, rufen Sie mich bitte an.«
    »Das werde ich. Probieren Sie die Nudeln, wenn Sie am Wochenende Zeit haben.«
    Als der alte Mann das Büro verließ, sah Yu auf die Uhr und überlegte, ob er Oberinspektor Chen, ebenfalls ein Gourmet, wenn auch nicht unbedingt ein »spars a mer«, anrufen sollte, doch da kam Alter Liang hereing e platzt. »Die Hauptverwaltung der Shanghaier Volksbank hat eben angerufen. Yin Lige hatte ein Schließfach bei einer Filiale im Huangpu-Viertel.«
    Das konnte von Bedeutung sein. Yu vergaß sein Mi t tagessen und begab sich eilends zu der Bankfiliale.

7

    Der Morgen drang mit dem Duft von frischem Toast und Kaffee und dem Läuten des Telefons in sein B e wußtsein. Als nächstes nahm er eine zierliche Hand wahr, die nach dem Telefonhörer auf seinem Nachttisch griff.
    »Halt!« Chen sprang aus dem Bett und rieb sich den Schlaf aus den Augen. »Ich nehme ab.«
    Es war Parteisekretär Li. Wäre er nicht so schnell g e wesen, wäre er seinem parteiinternen Vorgesetzten nun eine Erklärung schuldig. Weiße Wolke mußte, während er noch schlief, gekommen sein und Frühstück gemacht haben.
    Li wollte, daß er sich mit dem Fall Yin befaßte.
    »Aber ich habe Urlaub«, erwiderte er. »Weshalb we r de ich unbedingt gebraucht, Parteisekretär Li?«
    »Einige Leute behaupten, es handle sich um einen p o litischen Fall; sie beschuldigen die Regierung, sie hätte sich einer Dissidentin entledigt. Das ist natürlich U n sinn.«
    »Ja, natürlich. Die Leute reden viel dummes Zeug, wir brauchen das doch nicht ernst zu nehmen.«
    »Mittlerweile haben auch ein paar Auslandskorr e spondenten die Sache aufgegriffen. Die Behörden haben eine Trauerfeier für sie abgehalten, aber eine amerikan i sche Zeitung interpretiert das als Verschleierungstaktik«, berichtete Li voller Entrüstung. »Der Bürgermeister hat mich deswegen bereits kontaktiert. Wir müssen den Fall schnellstens aufklären.«
    »Hauptwachtmeister Yu ist ein erfahrener Beamter. Ich habe erst gestern mit ihm telefonisch den

Weitere Kostenlose Bücher