Schwarz auf Rot
hiergewesen?«
»Nicht, daß ich wüßte. Vielleicht war er ein armer Verwandter vom Land, der einmal einen Besuch in der Stadt gemacht hat.«
Yu holte sein Notizbuch heraus. Die Krabbenfrau wischte sich verschämt die Hände an ihrer Schürze ab, was ihn wieder an die Sache mit dem Kohlenstaub eri n nerte.
»Ich habe noch eine Frage. Sie haben angegeben, am Morgen des 7. Februar, dem Tag, an dem Yin ermordet wurde, hier Krabben gepult und ihren Platz nicht verla s sen zu haben.«
»Das stimmt. Auf dem Markt bezahlt man mich nach dem Gewicht der gepulten Krabben. Da bleibt mir nicht einmal Zeit, um auf meinen Nachttopf zu gehen.«
»Sie arbeiten sehr hart, das weiß ich. Aber ich weiß auch, daß sie irgendwann zwischen 6.55 Uhr und 7.10 Uhr zu Yins Zimmer hinaufgegangen sind. Da die Hi n tertür offenstand, müssen Sie doch Lanlans Hilferufe g e hört und gesehen haben, wie die anderen nach oben ran n ten. Warum hat es zehn bis fünfzehn Minuten gedauert, bis Sie in Yins Zimmer anlangten?«
»Fünfzehn Minuten?« Einen Moment lang war sie verwirrt. »Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen, G e nosse Hauptwachtmeister. Ich habe den Lärm gehört, ja, lassen Sie mich überlegen. Ich habe den Lärm gehört und bin hingegangen.«
»Kein Grund zur Beunruhigung. Wir verhaften keine Unschuldigen«, sagte Yu. »Ist an jenem Morgen noch etwas anderes in der Gasse vorgefallen?«
»Nein, ich kann mich nicht erinnern.«
»Lassen Sie sich Zeit. Vergegenwärtigen Sie sich noch einmal jedes Detail, angefangen mit dem Abholen der Ware vom Markt. Vielleicht war es ja nur eine unbede u tende Kleinigkeit, e in ungewohntes Geräusch in der Ga s se oder etwas anderes, das Sie abgelenkt hat.«
»Ein Geräusch – da muß ich überlegen – ja, jetzt eri n nere ich mich. Es kam von der Pfannkuchenbude. Da geht es immer laut zu. Lei preist seine Ware an, Sie wi s sen schon. Aber an jenem Morgen ist mir der Lärm b e sonders aufgefallen. Lautes Stimmengewirr war zu h ö ren, und ich habe schnell um die Ecke geschaut, um zu sehen, was los war.«
»Wie lange hat das gedauert?«
»Keine Ahnung. Eine Minute vielleicht. Von da, wo ich stand, konnte ich nichts verstehen. Es hat eine Weile gedauert, bis ich mitbekam, was los war.«
»Sind Sie bis zum Stand gegangen?«
»Ich habe nur ein paar Schritte gemacht, aber dicht rangegangen bin ich nicht, nicht mit meinen schleimigen Fingern.«
»Bleiben Sie hier sitzen, Genossin Peng«, sagte Yu und stand unvermittelt auf. »Ich bin sofort zurück.«
Er ging zum Eingang der Gasse und kam mit Lei wi e der, der noch Mehl an den Händen hatte. Die Krabbe n frau, deren Gesicht jetzt deutliche Spuren von Nervosität zeigte, zerquetschte, ohne es zu merken, eine Krabbe zwischen ihren Fingern.
»Hatten Sie am Morgen des 7. Februar, dem Tag, an dem Yin ermordet wurde, eine Auseinandersetzung oder einen Streit mit jemandem?« fragte Yu Lei.
»Ja. So ein Idiot behauptete, ein Haar in einem meiner Zwiebelpfannkuchen gefunden zu haben, und verlangte zehn Yuan Entschädigung. Das war natürlich Humbug. Er konnte genausogut sein eigenes Haar auf den Pfan n kuchen gelegt haben. Außerdem geben wir ja nicht vor, ein Fünf-Sterne-Restaurant zu sein.«
»Können Sie sich noch an die genaue Zeit erinnern?«
»Ziemlich früh. So etwa um halb sieben.«
Die Angaben der Krabbenfrau waren also korrekt.
Damit stand eines fest: Es hatte an jenem Morgen vier oder f ünf Minuten gegeben, in denen jemand ungesehen durch die Hintertür verschwinden konnte.
Yu strich Lei von der Verdächtigenliste des Alten L i ang, denn zumindest er hatte jetzt ein Alibi.
Das war zwar noch kein Durchbruch, eröffnete aber rein theoretisch die Möglichkeit, daß ein Fremder als Mörder in Frage kam.
Yu bedankte sich bei Peng und Lei. Die Krabbenfrau ergriff aus lauter Erleichterung Yus Hand mit ihren na s sen, schmutzigen Fingern.
Lei bestand darauf, Yu eine Tüte mit heißen Lauc h pfannkuchen mitzugeben. »Yin war eine gute Frau. Wir werden alles tun, um Ihre Ermittlungen zu unterstützen, Genosse Hauptwachtmeister. Solange Sie in der Gasse zu tun haben, werde ich für Frühstück und Mittagessen so r gen. Umsonst, versteht sich. Wenn Yin mir nicht geho l fen hätte, hätte ich heute keinen Imbißstand.«
An einem in Schweineschmalz gebackenen Pfannk u chen mit Lauchzwiebelfüllung kauend, ging Yu zurück zum Büro des Nachbarschaftskomitees und traf dort den Alten Liang, dessen Gesicht vor Erregung glühte.
»Wir haben
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