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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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sentlich verhaltener. »Jetzt, wo Yin und Yang tot sind, kann ich wohl niemanden mehr in Schwierigkeiten bri n gen.«
    »Gewiß nicht. Also bitte, erzählen Sie.«
    Wieder wurde es für einen Augenblick still.
    Er nahm einen Schluck von seinem Wein. Auf der n a hen Tanzfläche begannen Weiße Wolke und der junge Mann sich anmutig vor dem Flügel zu bewegen. Sie w a ren beide jung und energiegeladen, das perfekte Paar, das fast ein wenig zu wild tanzte für dieses vornehme Et a blissement.
    Endlich begann Zhuang zu sprechen: »Ich habe Yang Anfang der Sechziger kennengelernt, während der sog e nannten Sozialistischen Erziehungsbewegung. Das war kurz vor Ausbruch der Kulturrevolution. Die Univers i tätsverwaltung hatte Yang und mich derselben Studie n gruppe zugeteilt. Damals waren wir beide unverheiratet und beide Kandidaten für die Gehirnwäsche. Als solche wurden wir zeitweilig zur »intensiven Umerziehung« in spezielle Schlafräume eingewiesen. Yang sagte, er habe Schlafprobleme, doch eines Nachts entdeckte ich, daß er schrieb – unter der Bettdecke, in ein Notizbuch. Auf en g lisch. Ich fragte ihn, was das werden solle, und er sagte, es sei die Geschichte eines Intellektuellen, etwas Ähnl i ches wie Doktor Schiwago.«
    »Haben Sie je einen Blick darauf geworfen?«
    »Ich konnte kein Englisch. Und ich habe kein Wort davon gelesen.«
    »Warum nicht, Genosse Zhuang?«
    »Yang sagte, es sei die Geschichte eines Intellektue l len, und er war doch selber einer. Falls die Universität s verwaltung je Wind davon bekäme, konnte ich sagen, es sei sein Tagebuch – zumindest dachte ich das. Schlie ß lich ist es kein Verbrechen, ein Tagebuch zu führen. Hä t te ich es aber gelesen, und es wäre ein Roman gewesen, dann hätte man mich wegen Zurückhaltung wichtiger Informationen als Konterrevolutionär anschuldigen kö n nen.«
    »Ich verstehe. Sie wollten weder ihn noch sich selbst in Schwierigkeiten bringen. Hat Yang Ihnen noch mehr darüber erzählt?«
    »Es war ohnehin schon naiv von ihm, mir überhaupt zu erzählen, daß er an einer Geschichte schrieb. Zum Glück hatte ich damals keine Ahnung, wer oder was Doktor Schiwago war, vielleicht ein Arzt, den Yang pe r sönlich kannte. Schi wago hätte auch ein chinesischer Name sein können. Die chinesische Übersetzung ist erst – lassen Sie mich überlegen – Mitte der achtziger Ja h re erschienen. Sie war, wie Sie wissen, auf dem Index, weil sie einen Angriff auf die große Sowjetische Revol u tion darstellte. In jenen Jahren war jedes nobelpreisg e krönte Buch automatisch konterrevolutionär.«
    »Ich weiß. Zufällig kenne ich jemanden, der wegen des Besitzes einer Ausgabe des Doktor Schiwago im G e fängnis landete. Ihre Ahnungslosigkeit war sicherlich ein Glück für Sie«, sagte Chen. »Haben Sie später noch ei n mal mit Yang darüber gesprochen?«
    »Nein. Bald darauf brach die Kulturrevolution aus. Wir alle waren wie zerbrochene buddhistische Tonfig u ren, die den Fluß hinuntertrieben, zu kaputt, um uns noch für andere zu interessieren. Ich kam wegen des Verbr e chens, Voice of America gehört zu haben, ins Gefängnis. Als ich wieder rauskam, war er bereits in der Kadersch u le. Und dort ist er gestorben.«
    »Wissen Sie vielleicht, ob er während der Kulturrev o lution weitergeschrieben hat?«
    »Nein, aber ich bezweifle es. Man kann sich schwer vorstellen, daß jemand wie er in diesen Jahren auf en g lisch schreiben konnte.«
    »Na ja, man hat ihm immerhin erlaubt, englische B ü cher zu besitzen. Und das verdankte er einem einzigen Wort – ich glaube, es war ›Furz‹ – in einer Übersetzung von Maos Gedichten.«
    »Ja, davon habe ich gehört.«
    »Glauben Sie, daß noch jemand anderer von dem M a nuskript wußte?«
    »Vermutlich nicht. Es wäre einem Selbstmord gleic h gekommen, wenn er das herumerzählt hätte«, sagte Zh u ang. »Allenfalls Yin könnte es gewußt haben.«
    Nachdem das Gespräch mit Zhuang beendet war, n o tierte Chen noch einmal etwas auf einer Papierserviette. Auch die Frage des Abendessens hatte sich entschieden. Das Restaurant zu wechseln hatte nun wenig Sinn. Er brauchte Zeit zum Nachdenken, da war es ihm nur recht, wenn Weiße Wolke die meiste Zeit auf der Tanzfläche verbrachte.
    Die Abkürzungen am Rand des Manuskripts mit den übersetzten Gedichten ließen sich nun auf einmal erkl ä ren. Wenn Yang, wie Zhuang vermutete, an einem R o man geschrieben hatte, dann könnte das »K« für Kapitel stehen. Vielleicht hatte

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