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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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war?«
    »Gute Frage«, entgegnete Yu.
    »Eine Erklärung ist, daß er nicht so sehr fürchtete, g e sehen, sondern erkannt zu werden. Mit diesem Hinterg e danken habe ich die Shanghaier Meldebehörde angerufen und gebeten, alle Verwandten von Yin überprüfen zu lassen, besonders irgendwelche Neffen. Aber das Erge b nis war dasselbe, das Ihnen bereits vorlag.«
    »Sie könnte einen jungen Mann als Neffen bezeichnet haben, obwohl er gar nicht mir ihr verwandt war.«
    »Ja, das ist möglich. Aber würde sie einen völlig Fremden bei sich wohnen lassen, und das für eine ganze Woche?« fragte Chen. »Und dann ist da noch Peiqins Hinweis. Nachdem ich jetzt einige Kapitel des Romans gelesen habe, bin ich völlig ihrer Meinung: Yin hat darin möglicherweise die Texte eines anderen verarbeitet.«
    »Peiqin liest zuviel. Ich vermute, daß sie nichts gelten läßt, das nicht an Yangs hohes Niveau heranreicht«, sagte Yu. »Aber ich sehe nicht, was das für die Ermittlungen bringen könnte.«
    »Ich schon. Zufällig erhielt ich heute abend einen A n ruf von einem früheren Kollegen Yangs. Er behauptet, Yang hätte v or seinem Tod an einem Roman geschri e ben. Da könnte der Zusammenhang liegen«, sagte Chen langsam, und während er sprach, fühlte er eine Erkenn t nis aus den Tiefen seines Geistes heraufdämmern.
    Weiße Wolke hatte einen weiteren Tanz beendet, und Chen bemerkte, daß sie zu ihrem Tisch zurückkehrte. Die Musik brach ab.
    »Und? Hat er diesen Roman wirklich geschrieben?«
    »Das können wir nicht mit Sicherheit sagen. Vielleicht ist er unvollendet geblieben«, antwortete Chen, »aber Teile davon sind erhalten. Bislang haben wir kein R o manmanuskript von seiner Hand gefunden, nicht einmal ein paar Seiten. Alles, was wir haben, sind die englischen Übersetzungen der Gedichte.«
    »Stimmt.«
    »Und dann frage ich mich, warum die Staatssicherheit die Information über ihren Paßantrag zurückgehalten hat. Hatte das mit ihrem Schreiben oder mit ihrer Reise in die Vereinigten Staaten zu tun? Wenn ja, was waren die Gründe? Und warum haben sie uns das verschwiegen?«
    »Wir könnten an all diesen Punkten ansetzen, Oberi n spektor Chen. Die Frage ist, ob wir die Zeit dazu haben. Parteisekretär Li will Anfang kommender Woche eine Pressekonferenz abhalten. Wie können wir sicher sein, in den wenigen Tagen die richtigen Antworten zu finden?«
    »Ich werde ihn bremsen. Es ist Ihr Fall, aber genauso ist es der Fall der Sonderkommission«, erwiderte Chen. »Lange werde ich ihn vermutlich nicht aufhalten können, wenn wir nicht mehr vorzuweisen haben als ein paar U n stimmigkeiten in Wans Aussage. Ihm ist jeder Mörder recht, solange er eine schnelle Lösung des Falls bringt.«
    »Ja, wir müssen weiterkommen. Sobald wir den wa h ren Täter haben, brauchen wir uns weder um Wan noch um Parteisekretär Li zu scheren.«
    Schließlich legte Chen den antiquierten Hörer auf die Gabel und ging an den Tisch zurück.
    »Tut mir leid, Weiße Wolke«, sagte er, »uns scheint kein gemeinsamer ruhiger Abend vergönnt zu sein.«
    »Ein mächtiger Mann wie Sie kann keinen ruhigen Abend erwarten, aber es war trotzdem nett. Ich schätze es sehr, daß Sie mich heute abend ausgeführt haben.«
    »Das Vergnügen ist ganz meinerseits. Abgesehen von diesen Unterbrechungen habe ich den Abend wirklich genossen – vor allem Ihre Gesellschaft.« Damit wandte er sich an die vorbeigehende Bedienung: »Noch einen doppelten Whisky für die Dame.«
    Er wußte nicht, ob Whisky nach dem Essen das geei g nete Getränk war, aber sie hatte es zuvor selbst gewählt. Außerdem war es einer der teureren Posten auf der Karte.
    Es war spät. Einige Gäste brachen auf, andere kamen. Ein neues Personalteam trat seinen Dienst an, offenbar die Spätschicht. Hier war die Nacht noch jung.
    In den Legenden aus den Dreißigern wurde Shanghai immer wieder als Stadt ohne Schlaf bezeichnet – ein Ort des roten Neon und des weißen Weins, des berausche n den Geldes und des glitzernden Golds.
    Als er Weißer Wolke vorschlug, sie im Taxi nach Hause zu bringen, sah sie ihn prüfend an, bevor sie ihm mit dunkler, heiserer Stimme antwortete – vielleicht hatte sie zuviel Alkohol getrunken: »Das ist viel zu weit, ein Taxi würde ein Vermögen kosten. Können wir nicht in Ihre Wohnung gehen? Ich muß morgen ohnehin ko m men. Ich könnte auf dem Sofa schlafen.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen wegen des Taxigelds, Weiße Wolke«, erwiderte er rasch. »Das geht auf Kosten des

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