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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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besitzen?«
    »Gelegentlich. Darunter einige hohe Tiere aus der Stadtregierung. Einer war sogar aus Peking. Ich habe die Männer erkannt, weil ich ihre Photos in der Zeitung g e sehen habe. Wollen Sie Namen wissen? Ich kann das für Sie herausfinden.«
    »Nicht nötig, Weiße Wolke.«
    Eine leichtfüßige Melodie schwebte durch die Bar. Er sah sich um, konnte aber keine Karaoke-Anlage entde c ken. Dann plötzlich kam es ihm: In den Dreißigern hatte es noch kein Karaoke gegeben.
    »Schade, kein Karaoke heute.«
    »Offengestanden singe ich gar nicht so gern, Oberi n spektor Chen.«
    Damit hatte er nicht gerechnet. Vielleicht ging es ihr ja wie ihm, er redete in seiner Freizeit auch nicht gerne über seine Arbeit im Präsidium.
    Die Bedienung kam noch einmal an ihren Tisch; er b e stellte ein Glas Weißwein, sie einen doppelten Whisky mit Eis.
    Eine andere Melodie folgte, auch sie älteren Datums, aber nicht unbedingt stilgerecht – die Sängerin, ein zei t genössischer amerikanischer Pop-Star, hatte diesen alten Titel neu interpretiert. Doch gerade das schien Weißer Wolke zu gefallen. Sie lauschte hingerissen, das Gesicht in die Hände gestützt.
    Etwas Weiches stieß unter dem Tisch an seinen Fuß. Sie war aus ihren Schuhen geschlüpft; ihre bloßen Füße wippten im Takt und sie stieß dabei an die seinen. Vie l leicht.
    Während sie so dicht beieinander am Tisch saßen, wurde Chen sich plötzlich des Altersunterschieds b e wußt. Und auch all der anderen Unterschiede, die es zw i schen ihnen gab. Im Grunde gehörten sie verschiedenen Generationen an.
    Für ihn, der während der sechziger Jahre in die Grun d schule gegangen war, hatten Cafes und Bars noch immer den Beigeschmack bürgerlicher Dekadenz; so war ihm das damals von den Lehrbüchern eingebleut worden. Sein Anglistikstudium mochte ihn ein wenig von anderen abheben, aber noch immer suchte er ein Cafe vor allem deshalb auf, um dort eine Tasse guten Kaffee zu trinken und, wenn es seine Zeit erlaubte, in Ruhe ein Buch zu lesen.
    Weiße Wolke war nicht mit derartigen Lehrbüchern aufgewachsen. Vermutlich war für sie ein Ort wie das Golden Times Rolling Backward Ausdruck eines kult i vierten G e schmacks, der sie von den einfachen Bürgern absetzte, die ihren Tee mit Blättern in der Tasse tranken. Ihr vermittelte er die Zugehörigkeit zu einer sozialen El i te. Ob ihr der Beuteltee wirklich schmeckte oder nicht, spielte dabei keine Rolle.
    Ein älteres Paar stand von seinem Tisch auf. Die M u sik eignete sich zum Tanzen. Sie begannen ihre langs a men Tanzschritte auf dem Parkett, das etwa zehn bis fünfzehn Tanzenden Platz bot. Chen bemerkte, wie We i ße Wolke ihn erwartungsvoll ansah. Er wollte ihr gerade die Hand entgegenstrecken, als sie vorsichtig die seine berührte. Tanzen konnte, so hatte er irgendwo gelesen, ein Vorwand sein, um jemandem näher zu kommen, den man sonst nicht berühren durfte.
    Warum auch nicht? Einen Abend lang den Großkotz mit der kleinen Sekretärin spielen – einem hübschen ju n gen Mädchen, das ihm die Hand streichelte –, das kon n te durchaus Spaß machen. Zur Abwechslung würde er ei n mal nicht der »politisch korrekte« Oberinspektor und Parteikader Chen sein. Er hatte eine machtvolle Position inne und einen großzügigen Vorschuß für sein Überse t zungsprojekt in der Tasche.
    Doch Oberins pektor Chen war kein angenehmer A bend im Golden Times Rolling Backwards beschieden.
    Sein Mobiltelefon klingelte. Zhuang, der Universität s dozent, den Weiße Wolke interviewt hatte, meldete sich. Chen hatte ihm eine Nachricht auf dem Anrufbeantwo r ter hinterlassen, und jetzt rief er endlich zurück.
    »Ich bin froh, daß Sie sich melden«, sagte Chen. »Ich habe eine einzige Frage an Sie. Als Sie sich mit Weißer Wolke über Yang unterhalten haben, erwähnten Sie Do k tor Schiwago. Hatte Yang den Roman gelesen, wollte er etwas Vergleichbares schreiben, oder wollte er Gedichte schreiben wie die Romanfigur?«
    »Habe ich das tatsächlich gesagt?«
    »Ja. Der Wortlaut war: ›… ständig las und schrieb er, ganz wie Doktor Schiwago.‹ Keine Sorge, Genosse Zh u ang. Der Fall h at überhaupt nichts mit Ihnen zu tun, aber Ihr Hinweis könnte uns weiterhelfen.«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte kurzes Schweigen.
    Ein junger Mann kam an ihren Tisch und streckte Weißer Wolke einladend die Hand hin. Sie warf Chen ein entschuldigendes Lächeln zu. Er nickte ihr ermunternd zu und hörte gleich darauf Zhuangs Stimme, diesmal w e

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