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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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in dieser schäbigen Gasse verbracht. Er war mit einem Mordfall nach dem anderen beschäftigt gewesen und hatte oft auch an den Wochenenden arbeiten müssen. Und das alles für einen Hungerlohn. Warum tat er das?
    Vielleicht war es wirklich an der Zeit, sich Gedanken über sein berufliches Fortkommen zu machen, wie Peiqin es vorgeschlagen hatte.
    Als Yu in den Polizeidienst eingetreten war, hatte er klar umrissene Vorstellungen gehabt: Er wollte es besser machen als sein Vater, der Alte Jäger, der, obgleich ein hervorragender Polizist, nie über den Rang eines einf a chen Wachtmeisters hinausgekommen war. Von ihm ha t te Yu die Stelle im Shanghaier Polizeipräsidium übe r nommen. Was seinen Rang betraf, so hatte er sein Ziel immerhin erreicht. Als Hauptwachtmeister stand er eine Stufe über seinem Vater, war aber längst nicht so zufri e den mit seiner Arbeit, wie der Alte Jäger es gewesen war. Das war in den Jahren der Diktatur des Proletariats g e wesen. Damals hatte es keine großen Unterschiede zw i schen den Menschen gegeben. Jeder bekam denselben Lohn, jeder hatte eine vergleichbare Unterkunft, und j e der glaubte an die Parteidoktrin von »harter Arbeit und einfachem Leben«. Ein Polizist war Teil der Massen und konnte stolz darauf sein, der Diktatur des Proletariats als Werkzeug zu dienen.
    Doch worauf konnte ein Polizist heutzutage noch stolz sein? In einer zunehmend materialistischen Gesellschaft war ein Polizeibeamter ein Niemand. Man brauchte sich doch nur Oberinspektor Chen anzusehen. Trotz seiner erfolgreichen Polizeikarriere nahm er sich Urlaub, um nebenbei Geld zu verdienen.
    Und dann gab es noch die Geschichten über korrupte Beamte, und Yu wußte nur zu gut, daß diese Geschichten wahr waren. Wozu dann noch als Polizist arbeiten?
    Als er sich schließlich aus dem Bett erhob, verkündete er eine Entscheidung, die seine Familie in Erstaunen ve r setzte.
    »Wir gehen heute im Alten Halbplatz frühstücken.«
    »Aber wieso denn?« fragte Qinqin und rieb sich die Augen.
    »Unsere Familie hat es verdient, ihr Wochenende auch mal zu genießen.«
    »Das ist eine großartige Idee. Von dem Restaurant h a be ich schon gehört«, stimmte Peiqin verschlafen zu, blickte ihn aber ein wenig erschrocken an, denn sie war es nicht gewohnt, daß ihr Mann sie ausführte, noch dazu während er in einem Mordfall ermittelte.
    »So früh schon ins Restaurant?« Qinqin erhob sich widerwillig von seinem knarrenden Sofa.
    »Der Alte Halbplatz ist bekannt für seine Nudeln. Am besten sind die aus der ersten Topffüllung«, erklärte Yu. »Ich habe das in einem Restaurantführer gelesen.« Er wollte nicht sagen, wie er tatsächlich von diesem Resta u rant erfahren hatte.
    Eine halbe Stunde später betraten die drei das Lokal an der Fuzhou Lu, das bereits gut besucht war. Die Meh r zahl der Gäste bestand aus älteren Leuten, die ihre Ba m busstäbchen einsatzbereit in Händen hielten, noch bevor die Nudelschüsseln an den Tisch kamen.
    Die Schiefertafel über der Theke verzeichnete eine eindrucksvolle Liste von Nudelgerichten. Yu hatte kaum Zeit, in Ruhe zu wählen, weil hinter ihm schon die näc h sten Gäste ungeduldig drängten.
    Das mußten Stammkunden sein, die bereits wußten, was sie wollten, und der mondgesichtigen Kassiererin ihre Bestellung mitteilten, ohne auf die Karte schauen zu müssen.
    Yu bestellte Nudeln mit eingelegtem Kohl und Ba m bussprossen, dazu eine kleine Portion xiao— Schweinefleisch, das man, nach Aussagen von Herrn Ren, hier unbedingt essen mußte. Peiqin wählte Nudeln mit geschmorten Reisfeldaalen und Krabben und ebe n falls das xiao— Schweinefleisch, Qinqin entschied sich für Nudeln mit geräuchertem Karpfenkopf, dazu eine Cola.
    Der Service war schon weniger beeindruckend. Die mit Fett und Brühe bekleckerten Tische waren groß g e nug für zehn bis zwölf Esser, so daß die Yus keinen Tisch für sich allein hatten. Der Gastraum im Erdgeschoß des Restaurants war riesig, und die Bedienungen waren durchweg nicht mehr die jüngsten. Sie eilten mit Tellern und Schalen, die sich auf ihren ausgestreckten Untera r men stapelten, hin und her und hatten kaum Zeit, zw i schendurch die Tische abzuräumen und zu wischen, z u mal dort immer jemand aß. Vielleicht war das einer der Gründe, warum das Restaurant seine moderaten Preise beibehalten hatte.
    Sie teilten ihren Tisch mit zwei weiteren Nudelessern. Einer war dünn wie ein Bambusstecken, der andere rund wie eine Wintermelone. Sie schienen sich

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